Der Index zur Erhebung des Bruttonationalglücks (BNG -- engl. Gross National Happiness - GNH) geht auf eine Initiative des Königs von Bhutan, Jigme Singye Wangchuk, von Anfang der 1970er zurück -- der sich wiederum auf einen Gesetzestext aus dem 18. Jahrhundert berufen haben soll,eine Regierung hätte keine Legitimation, wenn sie nicht für das Glück ihrer Bürger sorgen könnte. Konzipiert wurde der BNG-Index allerdings erst im Jahr 2008, von einer eigens eingesetzten staatlichen Kommission, wissenschaftlich betreut durch das Centre for Bhutan Studies. Demokratisch legitimiert ist dieses Unterfangen auch heute noch nicht -- was die Beteiligung der eigentlich Betroffenen, der Bevölkerung, an der Erhebung des Bruttonationalglücks und die Anbindung an die politische Praxis angeht, sticht der BNG-Prozess indes immer noch positiv aus dem "Ländergütesiegeldschungel" hervor.

 

Selbstverständnis und Motivation

Das BNG versteht sich als ganzheitlicherer Bezugsrahmen für Lebensstandard in seinen subjektiven und spirituellen Dimensionen -- und damit als Ergänzung und Gegenentwurf zum BIP, das lediglich Geldflüsse abbildet. Eine nachhaltige Entwicklung, so der Grundgedanke dahinter, kann es nur in Harmonie materieller, kultureller und spiritueller Elemente geben, die einander ergänzen, bedingen und bestärken. Der BNG-Index soll es erlauben, diese Entwicklung zu beobachten und v. a. die Lebensbedingungen der noch weniger glücklichen Einwohner zu verbessern. Dafür wird er unmittelbar und verbindlich in politische Prozesse eingebunden.

 

Methodik

Der BNG-Index ist ein multidimensionaler, zusammengesetzter Indikator, der -- entgegen seinem Namen -- nicht bloß subjektives Wohlbefinden und Glück misst, sondern auch soziale und ökologische Lebensumstände, wie sie sich für die unmittelbar davon Betroffenen darstellen. Das Konzept des BNG beruht auf vier Grundprinzipien: guten Regierungs- und Verwaltungsstrukturen, einer nachhaltigen bzw. sozial gerechten sozio-ökonomischen Entwicklung, der Bewahrung und Förderung kultureller Werte und derm Schutz der Umwelt.

Der BNG-Index umfasst in seiner aktuellen Fassung neun Bereiche des "Wohlbefindens", die es erlauben, ein "gutes Leben" nach den genannten Grundprinzipien des GNH führen zu können, und die ihrerseits durch 33 Einzel-Indikatoren gemessen werden sollen:

  • psychologisches Wohlbefinden
  • Lebensstandard
  • Good Governance (also gute Regierungs- & Verwaltungsstrukturen
  • Gesundheit
  • Bildung
  • kommunale Vitalität
  • kulturelle Diversität & Resilienz
  • Zeitverwendung
  • ökologische Vielfalt & Resilienz

Die 33 Indikatoren werden seitens des Center for Bhutan Studies, welches die Entwicklung und Erhebung des BNP wissenschaftlich betreut, als statistisch verlässlich, normativ wichtig und leicht verständlich/kommunizierbar erachtet. Der BNP wird in der Art eines statistisch repräsentativen Surveys per Fragebogen erhoben, dabei werden Fakten-, Einstellungs- und Befindensfragen gestellt. Beim letzten GNH Survey 2010 wurden 7142 BürgerInnen befragt -- für 6476 (90,7%) gab es genügend Daten. Die Auswertung der Daten erfolgt auf drei verschiedene Arten: Beim "headcount" wird der Anteil der "Glücklichen" an der Bevölkerung (jene mit guten Werten in mindestens sechs Bereichen) ermittelt, im Hinblick auf "intensity" wird der Anteil jener Bereiche ermittelt, in denen selbst die "Unglücklichen" "glücklich" sind, und im "GNH index" werden die beiden ersten Ansätze in einer standardisierten Index-Zahl zusammengefasst. Jeder Bereich wird dabei gleich gewichtet, objektive Indikatoren stärker als subjektive. Es können aber auch Einzelindikatoren ausgegeben und nach bestimmten soziodemographischen Merkmalen analysiert werden.

 

Aussagekraft

Vom Design, von der Auswahl der Indikatoren, aber auch von der Erhebungsmethode her kann sich der BNG-Index mit wesentlich aufwändiger erstellten und kommunizierten Kennzahlen durchaus messen. Durch den Survey-Zugang werden hier zwar vorwiegend subjektive Daten erfasst -- es geht dabei aber nicht nur um schwierig interpersonell vergleichbare Fragen von Glück und Zufriedenheit, sondern im Vordergrund steht die Frage, was den Menschen wichtig ist, um ein gutes Leben führen zu können, und wie sie ihr unmittelbares Lebensumfeld darauf hin einschätzen.

 

Praxis

Der Index des BNG ist -- neben dem BIP -- vielleicht die einzige unter den hier behandelten Kennzahlen, die geeignet erscheint, unmittelbar politisch wirksam zu werden -- auch wenn das v. a. an der paternalistischen Intention und Legitimation des BNP-Prozesses liegen sollte. Begleitend zum Erhebungs- und Analyseinstrumentarium werden auch "GNH Policy & Project Screening Tools" eingesetzt, die dafür sorgen sollen, dass die Ergebnisse und Schlussfolgerungen tatsächlich durch die zuständigen politischen und administrativen Stellen in die Praxis umgesetzt werden. Inwieweit das tatsächlich geschieht, soll wiederum durch extern messbare "pro-GNH screening tools" ermittelt werden. Diese enge Anbindung an den politischen Prozess ist sicherlich eine Besonderheit des BNG-Systems. Auch wenn gelebte Demokratie in Bhutan keine Realität ist, auch im BNG keine Rolle spielt und die Mitsprache der Bevölkerung in Sachen "Bruttonationalglück" sich letztlich auf Antworten zu vorgegebenen Fragen beschränkt -- von diesem Instrument ließe sich sicherlich einiges lernen, wenn es darum geht, eine glaubwürdige Alternative zum BIP zu begründen, die etwas über Lebensbedingungen und -wünsche aussagt, die aber letztlich auch demokratisch legitimiert sein sollte.

 

Plus/Minus

+

  • vom Survey-Zugang her innovativ, aussagekräftig und mit Legitimität ausgestattet
  • nachvollziehbare, relativ kohärente Systematik
  • einzigartige Anbindung an politische & administrative Praxis

-

  • paternalistisch, demokratische Legitimität fraglich

 

Quellen

[1] Gross National Happiness >> OFFIZIELLE WEBSITE