"Vorsorgendes Wirtschaften" vollzieht einen Perspektivenwechsel gegenüber der Mainstream-Ökonomie, indem von der Basis jeden Wirtschaftens – der Produktivität und Reproduktionsfähigkeit der Natur und der gesellschaftlichen Lebensprozesse – ausgegangen wird. Vorsorgendes Wirtschaften richtet sich auf das Ziel der Erhaltung und Wiederherstellung dieser (re)produktiven Grundlagen und ist auf das „für das gute Leben Notwendige“ heutiger und zukünftiger Generationen ausgerichtet. Ins Zentrum dieses Perspektivenwechsels rückt damit ein haushälterisches Wirtschaften, das an konkreten Bedürfnissen (Versorgung) und der Begrenztheit und Verletzlichkeit natürlicher und sozialer Lebensgrundlagen (Vorsorge) orientiert ist.

Das Konzept des „Vorsorgenden Wirtschaftens“ wurde von einer Gruppe um die Volkswirtin Adelheid Biesecker (Professorin für Ökonomische Theorie an der Universität Bremen bis 2004) entwickelt. Das Netzwerk ist seit 1992 aktiv um die zukunftsfähige Erweiterung des Ökonomiebegriffs bemüht.

Ausgangspunkt „Vorsorgenden Wirtschaftens“ ist die Kritik an der „systemischen Maßlosigkeit und Sorglosigkeit im Umgang mit den lebendigen Grundlagen des Wirtschaftens.“ (Biesecker 2010 : 2) Die vorherrschende Ökonomie beruhe auf einem verengten Verständnis wirtschaftlicher Produktivität und zerstöre damit die lebendigen Grundlagen allen Wohlstandes und des Wirtschaftens selbst. Der Aspekt der Reproduktion – also der (Wieder-)Herstellung der gesellschaftlichen und natürlichen Grundlagen jeder Produktivität – wird ausgeklammert. Die (Re-)produktivität der Natur (Luft, Klima, fruchtbare Böden, Artenvielfalt, Wasser etc.) und reproduktive Arbeit (soziale Tätigkeiten des Versorgens, Pflegens, gesellschaftliches Engagement…) werden unbezahlt angeeignet und ausgebeutet, Kosten dieses Wirtschaftens werden zugleich in diesen Bereich des Reproduktiven externalisiert. Die klassische Wertrechnung führt insofern in die Irre, als die Kosten der Reproduktion bzw. der Zerstörung reproduktiver Grundlagen nicht in Marktpreise einfließen oder als wertsteigernd veranschlagt wird.
„Vorsorgendes Wirtschaften“ versteht demgegenüber „Ökonomie als Lebenswissenschaft“ (Biesecker et al. 2010). Damit gehen (1) ein ganzheitlicheres Verständnis von Ökonomie, (2) eine andere – haushälterische - ökonomische Rationalität und (3) andere Handlungsprinzipien einher:

(1) Wirtschaften wird als Versorgung (mit dem Lebensnotwendigen) und Vorsorge (Erhaltung der produktiven Grundlagen der Gesellschaft und der Natur) verstanden. Eine zukunftsfähige Ökonomie ist damit immer eine (re-)produktive Ökonomie, welche in ihre lebendigen Grundlagen (Natur und Gesellschaft) „eingebettet“ ist und die Erhaltung dieser Grundlagen fördert. Produktion und Reproduktion sind als Einheit zu betrachten. Das Reproduktive muss bewusst wertgeschätzt und gestaltet werden. (vgl. Biesecker 2010 : 5)

(2) Die damit einhergehende ökonomische Rationalität folgt einem "haushälterischen" Leitbild. An die Stelle eines rein quantitativen (auf Wachstum und Maximierung fixierten) tritt ein qualitatives Produktivitätskonzept, das an sozial-ökologischen Kriterien ausgerichtet ist. Haushälterisches Wirtschaften führt zur ursprünglichen Bedeutung von Ökonomie zurück: der Befriedigung von realen Bedürfnissen unter Beachtung der vorhandenen Ressourcen, der damit einhergehenden pfleglichen Behandlung der natürlichen Grundlagen des Wirtschaftens sowie der (Vor-)Sorge um Andere (intra- und intergenerative Fairness). Während die kapitalistische Ökonomie an Verwertung orientiert ist und von einer zeitlichen (Verbrauch von Lebensgrundlagen der nächsten Generationen) und räumlichen Entgrenzung (Destruktivität eines expansiven Lebensstils) geprägt ist, geht ein haushälterisches Wirtschaften von vernünftiger Selbstbegrenzung, Wertschätzung und Eigenwert aus. Vernünftiges Haushalten trägt damit sowohl den Bedürfnissen der heute lebenden Menschen sowie denen zukünftiger Generationen sowie den Regenerationsprozessen der Natur Rechnung.

(3) Vorsorgendes Wirtschaften folgt in Abgrenzung zu den dominanten Prinzipien im Umgang mit Mensch und Natur (Konkurrenz, Gewinnorientierung, Nachsorge) drei zukunftsfähigen Handlungsprinzipien: Vorsorge, Kooperation sowie der Orientierung am für das gute Leben Notwendigen. Neben der Nützlichkeit kommen damit auch andere Rationalitäten ins Spiel wie etwa Verantwortung, Beziehungen, Muße etc. und andere Koordinationsformen als nur Marktmacht (z. B. Sprache und Mitgefühl). Das Prinzip der Vorsorge beruht auf einem Sorgen um die Zukunft und auf der Einsicht in die Begrenztheit und Beschränktheit unseres Wissens. Vorsorgendes Wirtschaften bedeutet Vorsicht (Fehlerfreundlichkeit, Umkehrbarkehit, Bedachtsameit), Voraussicht (im Hinblick auf langfristige Handlungsfolgen) und Rücksicht (in Form der Begrenzung eigener Ansprüche). Das Prinzip der Kooperation stellt das Lebensdienliche und die Verantwortung für Mit- und Nachwelt über Privateigentum und die individuelle Leistung im Konkurrenzkampf. Kooperation erstreckt sich nicht nur auf das miteinander Wirtschaften, sondern auch auf die gemeinsame Festlegung von Zielen des Wirtschaftens und die Bestimmung verantwortlicher Wege dorthin. Das schließt die kritische Reflexion von verantwortbaren Bedürfnissen mit ein. Das Prinzip der Orientierung am für das gute Leben Notwendigen bedeutet weder ein asketisches Existenzminimum noch die Maximierung von (ausschließlich über Markttransaktionen verwirklichbare) individuellen Nutzen- und Gewinnvorstellungen, sondern das gute Leben für alle. Dieses Gute Leben ist nicht nur als reine Güterfülle zu betrachten, sondern beinhaltet auch soziale, kulturelle und ästhetische Dimensionen. Das setzt eine breite gesellschaftliche Reflexion und die Konkretisierung eines beglückenden und verantwortbaren Lebensstils als universeller Zielsetzung voraus.

Beispiel Landwirtschaft

Am Beispiel der Landwirtschaft lässt sich die praktische Konsequenz eines vorsorgenden Wirtschaftens zeigen: Die gängige Agrarindustrie zerstört durch ihre – die Reproduktivität ausblendende – kapitalverwertungsorientierte Praxis systematisch die Grundlagen von Landwirtschaft (Bodenfruchtbarkeit). Ebenso ist Kostenwahrheit nicht gegeben, da die Kosten der Bodenverseuchung, -erosion und –sanierung nicht in die Marktpreise eingerechnet werden. Eine „Orientierung an dem für ein gutes Leben Notwendigen“ würde alles untersagen, was die Lebens- und Ernährungsgrundlagen selbst zerstört: den Einsatz von Pestiziden, von bodenfruchtbarkeitserodierendem Anbau, von treibhauseffektfördernder Verschleuderung fossiler Energien im Verlauf des Produktlebenzyklus, von evolutionsnegierender Gentechnik und biodiversitätstötender Monokultur. Eine zukunftsfähige Agrar-Kultur würde auf Wirtschaftsregeln aufbauen, die einem Wertekonsens über die niemals zu zerstörende Lebensgrundlage (Bodenfruchtbarkeit) entsprechen. Eine solche Landwirtschaft orientiert sich am tatsächlichen Bedarf, sie erzeugt keine Überkapazitäten und ist solidarisch organisiert: Die Abnehmer*innen der Nahrungsmittel ermöglichen den Produzent*innen eine bodenverbessernde Anbaumethode ohne weltmarktvermittelten Existenzdruck.

Transformative Kraft des Ansatzes

Die transformative Kraft des Ansatzes des Vorsorgenden Wirtschaftens ergibt sich aus fünf Aspekten: Der Ansatz stellt (1) die Frage nach dem Sinn und Zweck des Wirtschaftens, und führt damit Ökonomie auf ihre Grundaufgabe zurück (Versorgung und Vorsorge). (2) Er bettet Ökonomie in ihre natürlichen und gesellschaftlichen Grundlagen zurück. (3) Er vertritt ein ganzheitliches Konzept von (Re-)Produktivität und Arbeit: als produktive Arbeit gilt nicht nur (die allein vom Arbeitsmarkt honorierte) Erwerbsarbeit, sondern auch Sorge-Arbeit, Freiwilligen-Arbeit in und an der Gesellschaft, bürgerschaftliches, demokratisches Engagement etc.. (4) Vorsorgendes Wirtschaften beinhaltet eine Zeitverantwortung, indem Zukunft als „zukünftige Gegenwart“ betrachtet und die Frage gestellt wird „Was tun wir der Zukunft an? Bzw. „Was können wir für die Zukunft als zukünftige Gegenwart tun?“ (5) Vorsorgendes Wirtschaften ist emanzipatorisch, weil es Fragen eines verantwortbaren Lebensstils und praktischen Engagements aufwirft: „Vorsorgendes Wirtschaften „geschieht“ nicht einfach, sondern es ist umkämpft, denn es macht unabhängig von Märkten und Kapital.“ (Biesecker 2010 : 2)

Die theoretischen Anknüpfungspunkte Vorsorgenden Wirtschaftens

Vorsorgendes Wirtschaften verknüpft verschiedene theoretische Ansätze in systematischer Weise:

  • den kritischen Blick einer aristotelisch geprägten Wirtschaftsethik (namentlich Peter Ulrichs Integrativer Wirtschaftsethik) auf (1) die notwendig normativen Grundlagen der Wirtschaft; (2) auf eine an den Zielen des politischen Gemeinwesens (der polis) ausgerichtete Ökonomik im Gegensatz zur selbstzweckhaft verkehrten Geldwirtschaft (Chrematistik). Damit ergeben sich auch Bezugspunkte zum Ansatz der Gemeinwohlökonomie.
  • sozialökonomische und institutionalistische Theoriemodelle mit ihrem erweiterten, gesellschaftlich eingebetteten Verständnis wirtschaftlicher Rationalität und Institutionen;
  • den Bielfelder Subsistenzansatz, der einer kapitalistischen Entwertung oder aber „minderwertigen Verwertung“ von (idealtypisch) weiblicher und natürlicher ReProduktivität „wertschätzend“ die zentrale Bedeutung der Subsistenzwirtschaft für das Überleben der Menschheit gegenüberstellt;
  • die Haushaltswissenschaft mit ihrem urökonomischen Fokus auf Versorgung, Fürsorge und die Befriedigung konkreter Bedürfnisse;
  • die Ökologie als Lehre vom Haushalt der Natur, was auch einen anderen Begriff von Wachstum und von (ökologischer) Ökonomie einschließt, die Wirtschaft als eingebettet in die Natur auffasst und ihr damit natürliche Grenzen und notwendige Gestaltungsprinzipien aufzeigt;
  • ein Vorsorgeprinzip, das sich aus der konstitutiven Begrenztheit und technologischen Beschränktheit unseres Wissens notwendig ergibt; und schließlich
  • einen (starken) Nachhaltigkeitsbegriff, der langfristökonomische „Ressourceneffizienz“ mit der Notwendigkeit der ReProduktion „physisch-ökologischer Qualitäten“ verknüpft: „Naturprodukt (natura naturata) und Naturproduktivität (natura naturans) bilden eine unauflösbare Einheit“ (Biesecker et al. 2000 : 46), weil es immer zugleich auch darum geht, die reproduktiven Grundlagen der Produktivität (sprich den „Mutterboden“) zu reproduzieren/wieder herzustellen.

Literatur

Adelheid Biesecker (2010): Eine zukunftsfähige Ökonomie ist möglich – Vorsorgendes Wirtschaften, Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „Postwachstumsökonomie an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg, am 9.6.2010 [Download von postwachstumsökonomie.org]
Adelheid Biesecker, Maite Mathes, Susanne Schön, Babette Scurell (Hg.) (2000): Vorsorgendes Wirtschaften – auf dem Weg zu einer Ökonomie des Guten Lebens, Bielefeld. [Inhaltsverzeichnis]
Netzwerk Vorsorgendes Wirtschaften (Hg.) (2013): Wege Vorsorgenden Wirtschaftens, Marburg.