Die Kommune Niederkaufungen e.V. ist eine intentionale Gemeinschaft, die im Jahre 1986 in Kaufungen/Nordhessen gegründet wurde. Im Jahre 2015 leben und arbeiten in der Kommune 61 Erwachsene und 21 Kinder respektive Jugendliche. Die Kommune versteht sich als lebendiges Experiment eines alternativen Lebensstils. Die Gemeinschaft möchte ohne Hierarchie solidarisch und ökologisch nachhaltig miteinander leben und arbeiten. Innerhalb der Kommune haben sich zwölf Kollektivbetriebe gegründet, die Güter und Dienstleistungen anbieten, darunter eine Obst-Manufaktur, ein Bio-Partyservice, ein Handwerksbetrieb (Bau- und Wärmedämmtechnik, Metallbau, Schreinerei, Fachwerksanierung u.a.), ein Architektur- und Planungsbüro mit Schwerpunkt Energieeffizienz und Nutzung regenerativer Energien, ein Pflegedienst und ein Beratungsunternehmen (Organisationen und Einzelpersonen).

 

HINTERGRÜNDE – Warum gibt’s es?

Anfang der achtziger Jahre bildete sich eine Initiatorengruppe, die 1983 von Hessen in den Großraum Hamburg zog. Im Laufe des Jahres diskutierte und plante diese wachsende Gruppe von anfangs zwölf Personen Inhalt und Form ihrer Utopie einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Ende 1983 entstand das Grundsatzpapier, auf dessen Basis ab 1984 bundesweit nach Interessierten gesucht wurde. 1986 kam zufällig der Kontakt zu den damaligen Eigentümern der Gebäude in Niederkaufungen zustande und man entschied sich Ende des Jahres zum Kauf des Objektes. Das umfangreiche Grundsatzpapier enthält im Kern fünf ausführlich beschriebene Grundsätze: Linkes Politikverständnis und Ökologie, Gemeinsame Ökonomie, Konsensprinzip, Kollektives Arbeiten, Abbau von / Auseinandersetzung mit kapitalistischen, patriarchalen und kleinfamiliären (Macht-)Strukturen. Das Linke Politikverständnis umfasst links-ökologische, marxistische, feministische und anarchistische Positionen und wird nicht dogmatisch umgesetzt. Die Grundsätze fußen auf der Idee einer anderen, nicht-hierarchischen Gesellschaft, die aus einer linken Gesellschaftsanalyse erwächst.

In den Kollektiven der Kommune gibt es keinen privaten Besitz an Produktionsmitteln. Die Gemeinwirtschaft bietet aus Sicht der Kommune die Möglichkeit, nicht entfremdete Arbeit und gute zwischenmenschliche Beziehungen kennenzulernen. In den selbstverwalteten Arbeitsbereichen sind Hierarchien und Konkurrenz abgebaut und es wird gemeinsam im Konsens entschieden, wie miteinander gearbeitet wird, was produziert wird und für welche Zwecke Gewinne verwendet werden - wichtige Voraussetzungen, um Entfremdung und Ausbeutung abzubauen.

Die Gebäude der Kommune sind und werden nach ökologischen Gesichtspunkten saniert. Mit einem Blockheizkraftwerk wird Strom und Heizwärme mit möglichst geringen Emissionen produziert. Die Räume werden mit einer Stückholzheizung beheizt, das Holz dafür kommt aus der direkten Umgebung. Das Brauchwasser für die Wohngebäude wird mit Solaranlagen erhitzt. Ein Großteil der Dachflächen wird in Regenwasseranlagen entwässert. Das Regenwasser wird für Gartenbewässerung, WC-Spülung und Waschmaschinen verwendet. Durch gemeinschaftliche Nutzung von Haushaltsgeräten und Maschinen kommt die Kommune mit wenigen Gütern aus. Das Leben in Gemeinschaft ermöglicht auch einen anderen Umgang mit Mobilität. Arbeitsplätze, Kindertagesstätte und Wohnungen liegen auf einem Gelände. Einkäufe werden zentral getätigt, es wird zudem versucht, den öffentlichen Verkehr mit übertragbaren Monatskarten optimal zu nutzen.

 

CHARAKTERISTIKA – Was macht's besonders?

Die Kommune Niederkaufungen e.V. zeigt zunächst einmal, dass alternative Lebensentwürfe innerhalb bestehender Strukturen umsetzbar sind. Innerhalb einer Gruppe kann man sich (ein Stück weit) den gängigen Vorstellungen von Leben, Wohnen, Arbeiten und Konsum entziehen. Die Kommune veranschaulicht, dass eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft ohne Hierarchien und Privateigentum auskommen kann, dass Menschen in der Lage sind, solidarisch und ökologisch miteinander zu leben und zu arbeiten und dass es möglich ist, Entscheidungen auch in größeren Gruppen im Konsens zu treffen. Die Kommune zeigt auch, wie eine solche intentionale Gemeinschaft ins Leben gerufen und sukzessive weiterentwickelt werden kann. Es bedarf lediglich einer kleinen Gruppe von Gleichgesinnten und des tatsächlichen Willens, sich der gängigen Lebensentwürfe zu entziehen, so weit die möglich ist. Alles andere ist mit Kreativität und Überzeugung irgendwie machbar. Die Kommune ist ein Beispiel für die Gratwanderung zwischen Rückzug aus den vorherrschenden Strukturen und Notwendigkeit innerhalb dieser zu agieren. Die zwölf Kollektivbetriebe sind Schnittstellen zwischen der intentionalen Gemeinschaft und der Marktwirtschaft außerhalb der Kommune. Da die Kommune keine Subsistenzwirtschaft darstellt, ist sie zudem auf die arbeitsteilige Wirtschaft, die Güter und Dienstleistungen zur Verfügung stellt, angewiesen. Die Gemeinschaft illustriert somit, inwieweit es möglich ist, alternativ zu leben und zu wirtschaften und inwieweit eine Abhängigkeit von der Gesamtgesellschaft besteht. »Wir sehen selbst, daß wir mit dem Projekt, das wir beschreiben, keine gesamtgesellschaftliche Lösung anbieten können. Doch wir sehen für uns eine Chance darin, unsere Utopien angehen zu können.« Die Kommune Niederkaufungen kann als gelungener Versuch gelten, eine Utopie zu verwirklichen, auch wenn diese an Grenzen stößt.

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