Mittlerweile finden sich selbst in Werbeprospekten von Lebensmitteldiskontern Silvesterflüge und Nordpolrundreisen. Bei letzteren startet man z. B. mit Airberlin am frühen Vormittag und kehrt gegen Abend zurück. Dazwischen liegt laut Veranstalter ein kurzer Aufenthalt in Rovaniemi am Polarkreis mit „Rentiertaxi fahren, eine Wichtelschule sowie die Postfiliale des Weihnachtsmannes besuchen.“ Für besonders Eilige gibt es das auch in der Minimalversion: Man steigt gar nicht aus und schaut sich das Eis von oben an, solange es noch nicht geschmolzen ist. Genauso bei „Silvesterflügen“: Hier steigt man nur deshalb in das Flugzeug, um das Feuerwerk von oben sehen zu können. „Der Polarkreisflug kostet pro Person 399 Euro inklusive Steuern und Gebühren, die Silvesterflüge gibt es pro Person ab 99 Euro inklusive Steuern und Gebühren“ informiert der Anbieter. Andere Kosten werden nicht angeführt. Eine neue Form von Mobilität: man reist, ohne irgendwo hinkommen zu wollen und maximiert dabei die negativen Effekte seiner Existenz auf Kosten anderer.

 

Aber für vernunftbefreiten Konsum braucht es nicht unbedingt den Mobilitätsmodus, es geht auch im unverdächtigen Verharrungsmodus: Kürzlich verkaufte Aldi/Hofer einen „Terrassen-Heizstrahler-mit-Tisch“. Während der Klimawandel im Gange ist und die Winter mild wie nie zuvor sind, werden tatsächlich (und dürfen) Geräte verkauft werden, deren Zweck es ist, die Winterluft im Umkreis von einem Meter zu erwärmen. Der durch Kaufanreize von Vernunft befreite Konsument stellt sich im Winter mit seinem Getränk auf den Balkon oder seine Terrasse und weil es da überraschenderweise nicht so warm wie im Wohnzimmer ist – heizt man dem Winter ein. Absurd, idiotisch aber legalerweise millionenfach beworben und viel zu oft gekauft.

Diese „Dienstleistungen“ und Produkte sind nur zwei Beispiele für ein Grundproblem unseres ökonomischen Systems: Die Unternehmen sind relativ frei darin, zu produzieren und Kaufanreize zu setzen für alles was Profit verspricht. Ebenso sind die Konsumenten – nach Maßgabe ihrer Kaufkraft und werbeterroristisch geprägten infantilen Regression – frei, diese Güter zu erwerben. Auf der Anbieterseite dominiert die Logik der Kapitalrentabilität. Dabei ist es unerheblich mit welchen Gütern und Dienstleistungen Gewinn erzielt wird. Auch schädliche Produkte können gewinnträchtig sein, ebenso wie die Beseitigung ihrer Folgen. Anzubieten was immer eine Nachfrage finden könnte und kaufen zu können was angeboten wird, wird in diesem System als zentrale ökonomische Freiheit betrachtet. Die Frage nach den Konsequenzen und den grundlegenden Werten und Prinzipien bleibt ausgeblendet. Die Kosten sollen andere tragen, notfalls die nächsten Generationen.

Und so sind wir umgeben von einem Universum an Produkten und Dienstleistungen, die keinen Zusatznutzen, vielleicht nicht einmal überhaupt einen Nutzen stiften, außer dem Erlebnis des Kaufens selbst. Von Produkten, deren Lebensdauer oft nur einen Bruchteil der Zeit ausmacht, die sie als Müll oder Sondermüll wirksam sind. Die gesellschaftlichen und ökologische Auswirkungen sind enorm und schon längst nicht mehr verantwortbar. Die Palette des Irrsinns ist unüberschaubar: Von scheinbar Harmlosem wie dem elektrischen Pfefferstreuer mit Batterie-Discolicht, über das Gift für den privaten Hausgarten (in jedem Baumarkt), Kaffeekapseln, SUVs, Gänsestopfleber, problematische Finanzprodukte (bei nahezu jeder Bank) bis zum Silvesterflug über den Nordpol – Jedem einigermaßen empfindsamen und denkfähigen Beobachter der Warenwelt fallen Produkte ein, ohne die die Welt vermutlich ein bisschen besser wäre.

Angesichts der explosionsartigen Verbreitung von Produkten, die gesundheitsschädigend, ressourcenvergeudend, unethisch oder lebensgrundlagenzerstörend sind, stellt sich die Frage: Wo müssen Grenzen hinsichtlich einzelwirtschaftlicher Produktionsentscheidungen und individueller Konsumentscheidungen (und damit Lebensstilen) gezogen werden? Wie kann vermieden werden, dass problematische Produkte und Dienstleistungen in Verkehr gesetzt werden? Wie bereinigen wir das bestehende Angebot durch Verbannung der übelsten Auswüchse konsumistischer Maßlosigkeit? Und wer soll das auf Grundlage welcher Kriterien tun?

Das Nachdenken über gesellschaftlichen Wert und Unwert von Gütern ist nicht neu. Selbst in den Wirtschaftswissenschaften wurde schon über „goods“ und „bads“ reflektiert. Der vom mainstream versenkte Ansatz der Arbeitsorientierten Einzelwirtschaftslehre - ein alternativer Ansatz zur herrschenden Betriebswirtschaftslehre - trifft/traf eine solche Unterscheidung:

Als „goods“ werden jene Güter und Leistungen bezeichnet, die den gesamtwirtschaftlichen Nutzen mehren und der Befriedigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse dienen. Als „bads“ gelten die negativen Auswirkungen der Herstellung von Gütern und Dienstleistungen, die keine vorhandenen Bedürfnisse befriedigen, und insofern Gefährdungen und Belastungen der Menschen und der Umwelt darstellen. Zu den „bads“ müssen auch geplante, technisch nicht zu rechtfertigende Verminderungen der Gebrauchseigenschaften der Produkte hinsichtlich Lebensdauer und Qualität gezählt werden. „Antibads“ sind Güter, die die schädlichen Wirkungen der „bads“ verringern sollen. Sie steigern nicht den Wohlstand, sondern sind „Reparaturkosten“, also kompensatorische Maßnahmen (Wasserreinigungsanlagen bei industrieller Grundwasserverschmutzung, Jodtabletten bei Atomverstrahlung, Atemmasken bei Smog)

Die Produktion von ‚bads‘ und ‚antibads‘ ist unter dem Blickwinkel der dominanten einzelwirtschaftlichen, kapitalorientierten Rationalität durchaus vernünftig. Konsequent verweigert wird in dieser Rationalität aber die Frage: Wofür und mit welchen Konsequenzen setzen wir als Gesellschaft Arbeitskraft und Ressourcen ein? Aus einer gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rationalität hingegen ist die Produktion von bads und antibads eine unverantwortbare Vergeudung an Arbeit, Zeit und Ressourcen. Aus Sicht der „Arbeitsorientierten Einzelwirtschaftslehre“ führt eine kapitalorientierte Rationalität zu einer problematischen - da an die Marktlogik gekoppelten - Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. Hinsichtlich der Gestaltung der gesamtwirtschaftlichen Produktion lautet deshalb die Forderung der AOEWL „in erheblichem Maße Wirtschaftsgüter dem Wirkungsmechanismus des Marktes bzw. der Entscheidung autonomer Unternehmungen zu entziehen und ihre Herstellung der expliziten politischen Entscheidung zu überlassen“ (Projektgruppe im WSI 1974, S. 146).

Angesichts der gegenwärtigen und zukünftigen gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen und angesichts der Destruktivität des derzeitigen Regimes der Maßlosigkeit benötigen wir Regeln und institutionelle Mechanismen vernünftiger Selbstbegrenzung. Während die Unterscheidung in goods, bads und antibads ein hilfreicher erster Schritt ist, stellen sich durch die Forderung nach einer politischen Steuerung der Produktion wichtige Fragen: Welche Kriterien lassen eine vernünftige Differenzierung und Lenkung zu? Welche institutionellen Instrumentarien einer vernünftigen Regulation der Warenwelt sind denkbar? Welche Entscheidungsprozesse sind geeignet?.

Denkbar ist ein vielfältiges Set von Lenkungsinstrumenten und Politiken vernünftiger Selbstbegrenzung:

Verbot von Produkten und Dienstleistungen die nachweislich unethisch, lebensfeindlich oder zukunftsbedrohend sind.

Ein Verbot von Produkten liegt dann vor, wenn das Herstellen, Inverkehrbringen oder der Gebrauch eines Produktes aus einer Klasse grundsätzlich handelbarer Güter mittels Rechtsnorm vom Staat untersagt wird. In unserer Wirtschaftsordnung gibt es auch tatsächlich einige Produktverbote. Die bekanntesten Beispiele sind das DDT-Verbot und FCKW-Verbot. Laut Waffengesetz sind Schlagringe, Totschläger, Waffen mit Schalldämpfern verboten. Das Produktsicherheitsgesetz sieht vor, dass eine „Markteinführung nur dann erlaubt (ist), wenn es bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung die Sicherheit und Gesundheit von Personen nicht gefährdet".

Verbote beziehen sich also relativ wenige chemische Verbindungen, Gegenstände der (tödlichen) Gewaltanwendung, oder unsichere Produkte. Die Bereiche und Ziele von Verboten beziehen sich zumeist auf die Welt des 19. Jahrhunderts und stellt eine relativ geringe Beschränkung der Produzenten hinsichtlich der Inverkehrbringung von Produkten dar. Fragen wie der Schutz zukünftiger Generationen, der Schutz natürlicher Lebensgrundlagen bzw. das Ziel einer ressourcenschonenden Zivilisation und nachhaltiger Lebensstile bleiben bislang meist außen vor. Vor dem Hintergrund eines im globalen Maßstab unethischen, krankmachenden und zukunftsbedrohenden Produktivismus und Konsumismus müssen wir über eine vernünftige Begrenzung von Waren- und Dienstleistungsangeboten nachdenken.

Verbote sind die stärksten und direktesten Instrumente der Regulierung und deshalb besonders umstritten. Bei der Forderung, über Verbote von bestimmten Produkten des täglichen Gebrauchs nachzudenken, setzt meist ein eigenartiger argumentativer Reflex ein: der Vorwurf bzw. das Schreckgespenst der Ökodiktatur. Ein solcher Reflex übersieht zumindest drei Aspekte:

Erstens wird dabei ignoriert, dass es bereits derartige Verbote gibt. So gilt beispielsweise in der EU ein Verbot Fleisch von geklonten Tieren in Verkehr zu bringen; die Regierung von New South Wales verabschiedete ein Gesetz, das Mikroplastik (Nanopartikel) in Pflegeprodukten verbietet.[1].; die dänische Regierung verbietet ab 2016 Gas- und Ölheizungen in Neubauten.

Zweitens blendet dieser Reflex eine unangenehme Realität aus: De facto leben wir schon heute in einer Ökodiktatur. Unser Lebensstil beeinflusst die Lebensbedingungen von Menschen auf anderen Kontinenten und die Lebenschancen zukünftiger Generationen. Ein ziemlich hoher Anteil der gegenwärtig Lebenden und alle zukünftigen Bewohner dieses Planeten haben allerdings keinerlei Einfluss auf unsere Produktions- und Konsumentscheidungen. Eine vermeintliche Gefahr einer Ökodiktatur an die Wand zu malen ist meist nicht nur auf die Abwehr vernünftiger Regelungen gerichtet, sondern kann durchaus dabei helfen, die Realität zu verdrängen: In der real existierenden Ökodiktatur sind wir die Nutznießer – noch zumindest.

Drittens verkennt dieser Reflex die tatsächliche Bedrohung: Eine Ökodiktatur wird höchstens die Konsequenz fehlender, demokratisch legitimierter Selbstbeschränkung sein. Die Ökodiktatur der Zukunft wird allerdings nicht auf gemeinwohldienliche und zukunftstaugliche Selbst-Beschränkung ausgerichtet sein, sondern sich vermutlich eher dadurch charakterisieren, dass eine Elite den Ressourcen-Zugang für immer größere Teile der (Welt-)Bevölkerung mit militärischen Mitteln einschränken wird, um den eigenen Luxuskonsum aufrechtzuerhalten.

Aber die Grundfrage hinter der Angst vor Öko-Diktatur ist berechtigt: Wer soll entscheiden was „gut“ und „schlecht“ ist? Und Wie soll darüber entscheiden werden, welche Produkte aus dem Warenverkehr gezogen werden sollen? Zivilisiert wird der notwendige Wandel von Produktion und Konsummustern nur dann sein, wenn er demokratisch legitimiert ist. Denkbar wäre, dass hochproblematische Produkte durch – in Abhängigkeit vom Betroffenenkreis - regionale, nationale und internationale Volksentscheide (direkte Demokratie) oder durch demokratisch legitimierte Institutionen (Parlamente, spezielle BürgerInnenräte) verboten werden können. Notwendig wäre heute sogar ein Automatismus, der so aussehen könnte dass jedes Jahr zumindest 100 problematische Produkte verboten werden. Als Abstimmungsmechanismus könnte das „Systemische Konsensieren“ herangezogen werden. Vom Markt verbannt werden jene Produkte, gegen deren Verbot es den geringsten gesellschaftlichen Widerstand gibt. Womit sollte man beginnen: Neonicotinoide, Waffen, Spielzeugwaffen, SUVs, Ölheizungen, Sportschuhe mit Batterien, Produkte deren Herstellung systematisch mit Menschenrechtsverletzungen einhergehen, Silvesterflüge... ? Es bieten sich genügend Dinge an.

Auf die Vernunft von KonsumentInnen können wir nicht vertrauen, wohl aber auf ihre Vernunft als BürgerInnen eines demokratischen Gemeinwesens.

Aber auch andere – weichere Instrumente der Regulierung können herangezogen werden.

Verteuerung von problematischen Produkten und Dienstleistungen durch Einrechnen der tatsächlichen Kosten

Es gibt kein Menschenrecht darauf, alles immer konsumieren zu können. Die Flugerdbeeren aus Brasilien sind ein Umweltverbrechen und kein natürlicher Bestandteil wirtschaftlicher Freiheiten. Vor allem ökologisch problematische Produkte können leicht dadurch reguliert werden, indem ihre tatsächlichen Kosten (z. B. Transport) aber auch geschätzte Folgekosten (nach Maßgabe des Vorsichtsprinzips) im Preis abgebildet werden. Wie wettbewerbsfähig sind dann noch chilenische Äpfel gegenüber steirischen Äpfeln? Wie teuer wäre dann Atomenergie? Kostenwahrheit und gesetzliche Preisfestsetzung würden den Konsum schnell in eine zukunftsfähige Richtung lenken: Die Befriedigung von Grundbedürfnissen durch regionale Produkte wird sehr günstig, unverantwortbare Konsumgüter werden sehr teuer.

Schaffung von Institutionen zur rationalen Marktbereinigung

Neben Produktverboten und Kostenwahrheit brauchen wir neue Institutionen: Denkbar wären Behörden, die problematische Produkte identifizieren und über ein phase-out mittelfristig vom Markt verbannen. Auf Antrag von Umweltorganisationen und demokratisch legitimierten Konsumentinnenorganisationen und auf Basis von transparenten Kriterien könnte diese Marktbereinigungsbehörde eine Marktzulassung gewähren oder entziehen. Dies könnte der Fall sein, wenn ein Produkt keinen Zusatznutzen, jedoch einen Zusatzschaden zu herkömmlichen Produkten verursacht. Dazu zählen u. a. künstlich verkürzte Lebenszeiten, Nicht-Reparierbarkeit, ethisch bedenkliche Produktion, das Aufmotzen eines bestehenden Produkts mit überflüssigen aber schädlichen Zusätzen. Die Pfeffermühle mit batteriebetriebenem Farblicht wäre dann ebenso nicht markttauglich wie Sportschuhe mit Blinklichtern; Die Produktion von Smartphones wäre zumindest dann temporär verboten, solange notwendige Rohstoffe nur aus Bürgerkriegsgebieten bezogen werden können

Einschränkungen bei bestimmten Produktgruppen und Produkten hinsichtlich ihrer massenindustriellen Erzeugung, ihrer Zusammensetzung, ihrer Bewerbung und ihres Verkaufs

Am weichsten sind Instrumente, die die Inverkehrbringung von Produkten regeln. Auch das ist nicht neu: in den USA darf Alkohol nicht überall verkauft werden; auch bei uns gelten für Jugendliche Schutzbestimmungen; Tabak darf nicht mehr wie früher hemmungslos beworben werden. Regelungen in diesem Bereich eignen sich für Produkte, deren Konsum individuell relativ unproblematisch ist, deren massenhafte Produktion, Bewerbung und Konsum aber ethische und gesellschaftliche Probleme erzeugen.

Massenindustrielle Fleischproduktion ist ethisch und ökologisch problematisch, massenindustrielle Herstellung, flächendeckende Bewerbung und hoher Konsum von industriell verarbeiteter Nahrung oder stark zuckerhaltigen Getränken ist gesundheitspolitisch problematisch.

Wenn es klare Hinweise auf die Bedenklichkeit von Produkten oder problematisches Massenkonsumverhalten gibt, sollen regulative Eingriffe möglich sein. So sind Softdrinks ein an sich wenig problematisches Produkt, wenn es aber in Massenproduktion hergestellt und mit Milliardenaufwand beworben wird, wird das Produkt zum Problem. Die Industrie prägt das Geschmacksempfinden der Konsumenten, sorgt für Formen der Abhängigkeit, missbräuchlichen Konsum und die „Vererbung“ des schädigenden Konsumverhaltens. Folgekrankheiten durch Fehlernährung und hohe Kosten für das Gesundheitssystem sind die logische Konsequenz.

Demokratisch legitimierte Einrichtung sollen innerhalb der Wertschöpfungskette Maßnahmen setzen können, um hier gegenzusteuern:

+ Vertrieb und Werbung durch große kommerzielle Hersteller und Anbieter (z . B. Nestle, Supermärkte) kann für bestimmte Produkte verboten werden. Nicht das Produkt wird damit verboten, sondern Anreize zu seiner massenhaften Verbreitung. Extrem gesüßten Eistee kann jeder selber machen oder in Gasthäusern konsumieren aber aus gesundheitspolitischen Erwägungen sollten extrem zuckerhaltige Getränke nicht an jeder Straßenecke verfügbar sein. So werden auch Zigaretten nicht in Supermärkten und schon gar nicht in Schulen (anders als Softdrinks) angeboten. Für den Handel wären Quotenregelungen hinsichtlich des Umsatzes denkbar: Nur ein bestimmter Prozentsatz des Umsatzes bei Getränken darf durch hoch-zuckerhaltige Getränke gemacht werden. Ab Überschreiten der Quote müssen die Regale bis zum Beginn der nächsten Berechnungsperiode geräumt werden.

+ Werberäte könnten festlegen, wer, wofür und wie werben darf. Z. B. nur für nachhaltige Produkte. Warum darf selbst in Schulen Werbung für extrem zuckerhaltige Getränke gemacht werden?

+ Regelung von Produktzusammensetzungen sind dann hilfreich, wenn ein gesellschaftliches Problem durch den Massenkonsum entsteht (z. B. maximaler Zuckergehalt in Durstlöschgetränken - jeder kann wenn er drauf steht zuhause ja noch ein Kilo Zucker in den Eistee schütten - aber Nahrungsmittel sollen nicht in Widerspruch zu ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen unreguliert auf den Markt gebracht werden dürfen.

Individuelle Co2 Bilanzen mit Obergrenzen für den Verbrauch und stark progressiver Besteuerung (Zukunftssteuer)

Globale Gerechtigkeit und intergenerative Gerechtigkeit setzen voraus, dass der individuelle Verbrauch auf ein verantwortbares Maß reduziert wird. Produkte und Dienstleistungen lassen sich in Hinblick auf ihren ökologischen Fußabdruck oder ihre CO2-Belastung berechnen. Individuelle Verbrauchsobergrenzen bzw. stark progressive Besteuerung von klimaschädigenden Lebensstilen würden ebenfalls zu einer Bereinigung des Warenuniversums führen. So schätzen Wissenschaftler wie Shoibal Chakravarty vom Princeton Environmental Institute, dass die Hälfte der globalen C02 Emissionen von nur einem Zehntel der Weltbevölkerung verursacht wird. „Der Großteil der Emissionen stammt von den wohlhabenden Bürgern, egal, in welchem Land sie wohnen", sagt Chakravarty. (http://sciencev1.orf.at/news/156232.html) Derartige Obergrenzen bzw. Zukunftssteuern würden zudem kollektive Formen der Nutzung von Gütern fördern

Bei all diesen regulativen Maßnahmen steht das Vernunft- und das Vorsichtsprinzip im Vordergrund. Das Vernunftprinzip sagt uns, dass wir Dinge (und damit Lebensstile), von denen wir wissen, dass sie zukunftsbedrohend oder gesellschaftlich schädlich sind aus unserem Leben verbannen müssen. Das Vorsichtsprinzip sagt uns, dass wir überall dort wo massive Schädigungen nicht ausgeschlossen werden können, auf bestimmte Technologien, Produkte oder Produktinhaltsstoffe verzichten müssen. Das Vorsichtsprinzip beinhaltet auch das Prinzip, dass der Beweis für die Unbedenklichkeit von denjenigen erbracht werden muss, die ein Interesse an der wirtschaftlichen Nutzung haben und nicht – wie bisher – der Beweis für die Schädlichkeit durch diejenigen, die davon Betroffen sind.

Eine vernünftige Selbstbeschränkung hinsichtlich der uns umgebenden Produkte hat nichts mit subjektivem Geschmack oder diktatorischer Willkür zu tun, sondern mit der öffentlich erörterten Frage, wie eine Gesellschaft verhindern kann, dass massenhaft problematische Produkte in Verkehr gesetzt werden und wie Produktion und Konsum in eine verantwortbare Richtung gelenkt werden können. Wir sollten uns nicht vor regulativen Eingriffen bis hin zu Verboten problematischer Produkte fürchten. Nahezu alle relevanten Fortschritte im Bereich der Ökologie wurden durch Verbote erreicht und nicht durch Einsicht der Massen oder die Vernunft der Marktkräfte. Gerade unter den gegebenen Bedingungen auf individuell freiwillige Selbstbeschränkung zu setzen (von profitgetriebenen Unternehmen oder individualisierten KonsumentInnen) halte ich nicht für erfolgversprechend.

Die demokratische Regulation der Warenwelt hätte nicht nur einen bereinigende Effekt, sondern hat das Potenzial, einen gesellschaftlichen Diskurs in Gang zu setzen und Bewusstsein für die Frage zu schaffen: Was können wir uns gerechterweise als globale Schicksalsgemeinschaft leisten? Und was ist für ein gutes Leben notwendig?

Das darf nicht als asketischer Verzicht missverstanden werden. Weniger ist mehr. Individuelle Zufriedenheit ist nur durch Genügsamkeit, durch ein „es reicht“ erreichbar. Also durch ein Ziel und nicht ein „immer mehr“. Echte Be-Friedigung setzt friedvolle, gute Beziehungen zu anderen voraus und damit einen Lebensstil, der nicht auf Kosten anderer geht.

 

[1] Ein einziges Pflegeprodukt kann Hundertausende von Mikroplastikperlen enthalten, die über Gewässer wieder in die Nahrungskette der Menschen und Tiere gelangen.

[2] Derartige Mechanismen gibt es übrigens schon in internationalen Wirtschaftsabkommen: sogenannte

„Roll back“- Bestimmungen. In bilateralen oder multilateralen Liberalisierungabkommen können Länder Listen von Bereichen erstellen, für die eine Liberalisierungspflicht erst später eintritt. (songenannte „Nationale Ausnahmelisten“ z. B. bei Trinkwasserversorgung, öffentliches Beschaffugnswesen …). Die Roll-Back-Klausel legt aber fest, dass diese Ausnahmen nur temporär sind und im Zeitablauf alle Bereiche einer Liberalisierung unterzogen werden müssen.

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