"Bio" ist und bleibt in Österreich ein Minderheitenprogramm -- und das, wo wir doch international im Spitzenfeld liegen. Handel, Politik und Bio-Industrie pflegen ergo ihr Bio-Vorreiter-Image, aber die Luft ist längst draußen. Die etablierte Strategie, "Bio" als Premium-Segment zu vermarkten, erweist sich zusehends als Hemmschuh: Es bedingt geradezu, dass das, was gut und richtig ist, besonders -- und entsprechend teuer -- ist und bleibt. Aus dieser verkehrten Marketing-Logik müssen wir raus, denn der Preis lügt und "der Markt" wird's nicht richten. Hier ist Politik gefragt -- und damit zuallererst wieder mehr Aktivismus und radikale Kritik: So wie in den Anfangstagen von "Bio", bevor es von Handel und Industrie als hochpreisiger Nischenmarkt kassiert wurde.
Ausgangspunkt praktisch jeder Debatte zum Thema (und das war auch diesmal so, siehe Box rechts) ist der liebgewonnene Eindruck eines anhaltenden "Bio-Booms" in Österreich. Davon kann aber längst keine Rede mehr sein. Seit 2010 ist der Markt nach offiziellen AMA-Zahlen -- mengen- und wertmäßig relativ gleichförmig -- lediglich um einen Prozentpunkt, von sieben auf knappe acht Prozent gewachsen, und das mit relativ großen jährlichen bzw. saisonalen Schwankungen (inkl. Rückschlägen) und relativ großen Unterschieden in den verschiedenen Produktgruppen: Der besonders heikle & schwierige Bereich der Fleischproduktion kommt bspw. seit Jahren nicht vom Fleck und dümpelt bei rund drei Prozent Marktanteil herum. Traditionell starke Bio-Produkte wie Butter, Erdäpfel oder Eier verzeichneten zwischenzeitig (2013) sogar einen Rückgang im Marktanteil. Das zuletzt, seit Jahren erstmals relativ deutliche Wachstum geht wiederum v. a. aufs Konto von Frisch- & ESL-Milch, Joghurt und teilweise Käse -- also jener Bereiche, in denen "Bio" vergleichsweise (!) "leicht" geht, d. h. wo massive Überschüsse produziert werden, der Unterschied zu "konventionell" relativ gering ist und sich entsprechend weniger in der Kostenstruktur und damit auch im Endverkaufspreis widerspiegelt (und wo "Kampfpreise" zum Geschäft gehören).
Die Hoffnung auf den Siegeszug von "Bio" mit dem Einzug in Supermarkt und Diskonter erweist sich also zusehends als Wunschdenken -- aber auch der groß ausgelobte Trend zu insgesamt mehr "Nachhaltigkeit" im Kosumverhalten. Der Trend zu mehr "Regionalität" etwa entpuppt sich häufig als subtiler Etikettenschwindel: weil meist sehr weiträumig gefasst ("Region Österreich") und auf solche Produkte beschränkt, in denen lt. amtlicher Versorgungsbilanzen ohnehin riesige Überschüsse produziert (& exportiert) werden, und weil sich dadurch vielfach nicht viel ändert -- außer dem zusätzlichen Label, das mitunter einen Mehrpreis ohne effektiven "Mehrwert" rechtfertigen soll. Während fleischlose Convenience-Produkte ins Kühlregal einziehen, steigt der Fleischverbrauch pro Kopf lt. AMA-Erhebungen munter weiter. Und während eine langsam wachsende Zahl der Menschen bereit scheint, mehr für "Nachhaltigkeit" zu berappen, erweisen sich Diskont, Schnäppchen und Aktionen als noch weitaus attraktiver: Noch nie gaben Herr und Frau ÖsterreicherIn lt. Erhebungen der Statistik Austria für Nahrungsmittel im Schnitt so wenig aus wie heute. Die grassierende "Aktionitis" erweist sich letztlich als weit stärker als der vielbemühte Aktionismus durch "politischen Konsum". Und vor allem: Auch wenn der Bio-Markt nach wie vor bescheiden zulegt, so ist nach AMA-Angaben die Anzahl der Bio-Betriebe in Österreich seit 2010 doppelt so schnell (um gute zwei Prozent) gesunken!
Es täte also not, sich nichts vorzumachen: "Bio" ist nach wie vor Nische, und jeder weitere Zuwachs muss offenbar "billig" zu haben sein: durch Industrialisierung, Importe, PR-Gags oder dort, wo der Unterschied zu "konventionell" noch relativ gering ist -- viel anders lässt sich "Bio" im jetzigen System auch gar nicht entwickeln. Handel, KonsumentInnen und ProduzentInnen mögen dabei durchaus gute Absichten haben, aber sie können gar nicht viel anders, denn sie haben die Spielregeln nicht gemacht, sind (meist) ebenso Leidtragende des jetzigen Systems. Aber ernsthaft: Wie soll eine Form der Landwirtschaft, die vergleichsweise teuer produzieren muss, weil sie eben keine "externen Kosten" verursachen will, jemals zum "Normalfall" werden -- in einem Wirtschaftssystem, das auf "Effizienz" mit allen Mitteln setzt: und dazu gehören im Normalfall eben die zerstörerische Ausbeutung von Boden, Wasser, Luft, Tier und Mensch -- alles tatsächlich auch als "Kosten" darstellbar, für die unsere Wertrechnung (das BIP, aber auch die Unternehmensrechnung und die Kostenrechnung) allerdings weitgehend blind ist, weshalb sie auch nicht von denen getragen werden, die sie eigentlich verursachen.
Gütesiegel (wie jene für "Bio") werden in diesem Spiel ganz so wie Marken behandelt -- das ist das Problem. Sie unterscheiden sich nämlich in enem entscheidenden Punkt: Gütesiegel dienen meist der Erwirtschaftung bzw. dem Erhalt eines öffentlichen Guts. Deshalb ist es völlig verkehrt, sie der "Markenlogik" zu unterwerfen. "Labels" (also Marken wie Gütesiegel) versprechen ja stets einen "Mehrwert". Bei Markenprodukten soll dieser unmittelbar dem/r VerbraucherIn zugute kommen, wenn auch häufig v. a. ideell, bspw. durch ein gutes Gefühl, Statusgewinn oder dergl., die mit dem Kauf und Verbrauch einher gehen. Bei "Bio"-Produkten mag das auch eine Rolle spielen, allerdings kommt dieser Mehrwert dort überwiegend und im Idealfall allen zu, die von dieser nachhaltigeren Art der Wertschöpfung profitieren. Gütesiegel repräsentieren quasi die internalisierten Mehrkosten und rechtfertigen damit den Mehrpreis, um diesen Mehrwert zu erwirtschaften -- und dieses "Mehr" besteht v. a. im Erhalt bzw. der Erwirtschaftung eines öffentlichen Guts, nämlich der Produktivität der Natur, wofür letztlich v. a. die VerbraucherInnen bezahlen (nicht selten inklusive Aufzahlung einer "Moraltaxe").
Die Logik der Marke funktioniert hier also nicht -- weil sie "Marktdefekte", zu deren Reparatur Gütesiegel eigentlich gut wären, lediglich profitabel ausbeutet. Viel mehr ist nicht drin. Es sprechen also zwei wesentliche Dinge gegen die Fortführung des bestehenden Systems: Es ist ungerecht und es funktioniert nicht. Es ist ungerecht, weil (im Fall "Bio") die meisten Kosten & Mühen jene zu schultern haben, die es besser machen wollen (Bio-ProduzentInnen & -KonsumentInnen), oder allgemeiner: weil die nachhaltige Bewirtschaftung öffentlicher Güter von Privaten finanziert werden soll -- so wie von der Ausbeutung (auch) öffentlicher Güter zulasten der Allgemeinheit ("konventionell" häufig der Fall) ebenso (andere) Private profitieren. Und es funktioniert nicht, weil "der Markt" keine öffentlichen Güter bereitstellen oder bewirtschaften kann -- zumindest nicht unter den geltenden Rahmenbedingungen, wo teure Qualitätsführerschaft ausbügeln soll, was billige Kostenführerschaft anrichtet, und dabei auch noch zum verwirrenden "Labeldschungel" beiträgt. Ein solcher Markt reproduziert seine eigenen Schieflagen, Verwirrungen und Perversionen, wenn man ihn lässt -- und dazu gehört, dass Gütesiegel wie Marken behandelt werden.
Solange "Bio" als besondere Qualität ausgezeichnet wird und von Privaten teuer finanziert werden muss, während es ganz "normal" bleibt, billig auf Kosten der Allgemeinheit zu produzieren, kann das Gute und Richtige nie Mainstream werden -- das ist von Haus aus nicht vorgesehen, und das lassen die geltenden Spielregeln auch praktisch nicht zu. Wenn es denn die Norm werden soll, nachhaltig zu produzieren, dann braucht es ein radikales Umdenken -- einen "Paradigmenwechsel": Erstens darüber, ob es tatsächlich "normal" ist, die produktiven Grundlagen -- Boden, Luft, Wasser, Tier und Mensch -- nachhaltig auszubeuten, oder ob es nicht eigentlich die Norm sein sollte, diese nachhaltig zu erhalten. Zweitens würde daraus eine "Beweislastumkehr" folgen, weg von der immer genaueren und verlässlicheren Bestimmung und Bewertung des eigentlichen "Mehrwerts" von Bio (momentan ein starker Trend, der aber abnehmend Sinn macht) hin zur Frage, welche volkswirtschaftlichen Kosten uns die "konventionelle" Wirtschaftsweise eigentlich beschert, namentlich durch Stickstoffüberschuss, Humusabbau, Bodenerosion, chemischen Pflanzenschutz, Monokultur, Gewässerkontamination, Biodiversitätsverlust, Ressourcenverschwendung, Abhängigkeit von Fossilenergie usw.. Aus diesem Bewusstsein würde es wohl drittens angebracht erscheinen, (auch) diese negativen Aspekt zu deklarieren, sie entsprechend zu labeln, zu sanktionieren und so letztlich auch einzupreisen, um Kostenwahrheit herzustellen, "Bio"-Produkte im Vergleich zu verbilligen und somit die perversen Anreize am Markt zu beenden. Alles andere bringt uns nicht weiter.