Die von Peter Ulrich ausgearbeitete "Integrative Wirtschaftsethik" gehört aktuell zu den radikalsten vernunftethisch begründeten Alternativen zur amoralischen, kapitalistischen Ökonomik. Im Zentrum steht dabei die Forderung nach einer Re-Integration ökonomischer und moralischer Vernunft, um Wirtschaft wieder unmittelbar "lebensdienlich" zu gestalten.

 

Die Integrative Wirtschaftsethik unterscheidet drei "Stufen" wirtschaftsethischer Reflexion: die Kritik des "Ökonomismus", die Bestimmung "sozialökonomischer Rationalität" und die Identifikation der "Orte" der Moral des Wirtschaftens. Als "Ökonomismus" wird von Ulrich die Vorstellung einer "wertfreien" ökonomischen Rationalität als reiner "Sachlogik" kritisiert, die wirtschaftliche Entscheidungen allein mit dem Argument der Effzienz oder der wirtschaftlichen Notwendigkeit rechtfertigen möchte. Ein solches "Sachzwangsdenken" komme einem "Denkzwang" und "Reflexionsstopp" gleich. Fragen nach Sinn und Recht wirtschaftlichen Handelns würden damit systematisch ausgeblendet. Effzienz könne niemals Selbstzweck wirtschaftlichen Handelns sein, sondern Mittel im Dienst des Lebens.

Die Integrative Wirtschaftsethik fordert die diskursethische Reintegration ökonomischer Rationalität und moralischer Vernunft zur "sozialökonomischen Rationalität" -- und damit eine grundlagenkritische Auseinandersetzung über "Sinn" und "Legitimität" wirtschaftlichen Handelns zur Bestimmung einer "lebensdienlichen Ökonomie". Wirtschaftliche Entscheidungen müssen damit vor den ethischen Leitbildern des "guten Lebens" und "gerechten Zusammenlebens" moralisch verantwortet werden. Die Idee des "guten Lebens" umfasst dabei etwa "Sinnfragen" nach einer erstrebenswerten Zukunft, der Nutzung von Produktivitätsforschritten oder nach den Werten, die gesellschaftlich geschaffen werden sollen. Die Idee des "gerechten Zusammenlebens" umfasst etwa "Legitimitätsfragen" nach der Verteilung der erwirtschafteten Werte, des Nutzens und der Kosten einer ökonomischen "Rationalisierung", und nach der Schaffung einer gerechten und gerechtigkeitsförderlichen (Welt-)Wirtschaftsordnung.

Die dritte Ebene wirtschaftsethischer Reflexion benennt die "Orte" der Wirtschaftsmoral in der Gesellschaft: die "WirtschaftsbürgerInnen", die Unternehmen und die Ordnungspolitik. Den WirtschaftsbürgerInnen - also den Menschen in ihrer Rolle als StaatsbürgerInnen, KonsumentInnen, InvestorInnen und ProduzentInnen - wird dabei zugemutet, sich aktiv an politischen Prozessen zu beteiligen und sich auch bei der Verfolgung privater Interessen um soziale und ökologische Belange zu sorgen. Den Unternehmen weist die Integrative Wirtschaftsethik eine zweistufige Verantwortung zu: Marktbezogen soll ihre Geschäftsethik durch eine sinnvolle Wertschöpfungsidee und geeignete Maßnahmen (überprüfbare Selbstbindung, Integritätsmanagementsysteme usw.) zur Verbesserung des menschlichen Lebens beitragen. Gesellschaftsbezogen sollen sie durch gelebte "ordnungspolitische Mitverantwortung" (etwa durch Branchenverbände oder gemeinwohldienliches Lobbying) dabei mithelfen, dass sich sozialökonomische Rationalität auch realisieren lässt.

Die Ordnungspolitik als dritter Ort der Moral umfasst nach Ulrich Aufgaben der "Vitalpolitik" und der "Wettbewerbspolitik". Die vorgelagerte Vitalpolitik solle den Wettbewerb als Steuerungssystem nach ethischen Gesichtspunkten der Lebensdienlichkeit ausrichten und begrenzen. Erst in diesem Zielsystem könne eine Wettbewerbspolitik der offenen Märkte und des fairen Wettbewerbs wirksam werden. Markteffzienz und Wettbewerb dürften nicht oberste ordungspolitische Gestaltungskriterien sein.


Literatur

Peter Ulrich (2005): Zivilisierte Marktwirtschaft. Eine wirtschaftsethische Orientierung, Freiburg - Basel - Wien.
--- (2008) Auf der Suche nach der ganzen ökonomischen Vernunft : Der St. Galler Ansatz der integrativen Wirtschaftsethik, S. 61-75 in: Kersting, Wolfgang (Hrsg.): Moral und Kapital. Grundfragen der Wirtschafts- und Unternehmensethik, Paderborn. [Download von der Forschungsplattform Alexandria]

weiterführende Informationen

Integrative Wirtschaftsethik als Programm [Foliensatz, Download von Me' M. Denkfabrik für Wirtschaftsethik]

Das Verhältnis von Ethik und Ökonomik [Kapitel aus unserem Skriptum Wirtschaftsethik, kritisch betrachtet]