Vortrag beim Momentum Kongress 2020

Ungezügeltes Wirtschaftswachstum ist mit ökologischer Nachhaltigkeit unvereinbar. Doch so klar Grenzen des Wachstums auch zu sein scheinen – nichts desto trotz wird quantitatives Wachstum auf Unternehmensebene als mindestens erstrebenswert, häufig sogar als unumgänglich dargestellt. Es gibt in der Betriebswirtschaftslehre eine tief verwurzelte Gleichsetzung von Unternehmenswachstum und Unternehmenserfolg. In diesem Beitrag beziehen wir uns auf eine eigene Interview-Studie mit UnternehmerInnen und anderen betrieblichen EntscheidungsträgerInnen, deren Sichtweisen und Erfahrungen dieser Narration einer Unumgänglichkeit von Umsatzwachstum für wirtschaftliche Rentabilität widersprechen. Mit unserer Analyse von betrieblichen Strategien erfolgreich langsamwachsender oder nicht-wachsender Unternehmen und der strategischen Entscheidungen, die ihnen zugrunde liegen, wollen wir zu einem Gegennarrativ beitragen, das auch die mögliche Gestaltung einer Post-Wachstumsökonomie skizziert. Unternehmen, die in einem wachstumsgetriebenen Wirtschaftssystem erfolgreich stagnieren und sich Wachstumszwängen entziehen, betrachten wir somit als Nowtopias, denen eine wichtige Brückenfunktion zwischen Realismus und Utopismus zukommt.
Für unsere Analyse greifen wir auf das Konzept organisationaler Wertelogiken (organizational value logics) zurück, das einerseits organisationale Strategien in einen institutionellen Kontext einbettet und zugleich die unreflektierte Wachstumsnormativität von traditionellen betriebswirtschaftlichen Modellen kritisch unterstreicht. Anhand unserer qualitativen Daten, die aus 30 Interviews mit EntscheidungsträgerInnen aus verschiedenen kommerziellen Unternehmen in Produktion und Handel (in den Bereichen Technologie, Lebensmittel und Bekleidung) bestehen, beschreiben wir vier verschiedene realwirtschaftlich existierende unternehmerische Ausrichtungen, von denen sich drei dem gegenwärtigen Wachstumsparadigma teils unbewusst entziehen, teils bewusst widersetzen. Diese drei Ausrichtungen und ihren möglichen Beitrag zu einer sozio-ökologischen Transformation diskutieren wir in Relation zu zentralen Forderungen wachstumskritischer Ansätze, spezifisch aus dem Kontext des degrowth Diskurses. Es werden also Aspekte ökologischer Nachhaltigkeit, sozialer Gerechtigkeit und transformativer Wirkung in den jeweiligen nicht-wachstumsorientierten betrieblichen Wirtschaftsweisen betrachtet. Daraus ergeben sich Implikationen für eine postwachstumstaugliche Betriebswirtschaftslehre: Kritische und zentrale Themen sind
  • der Geschäftszweck über Finanzgewinn hinaus (‚worthwile profit‘),
  • die Frage von Ressourceneffizienz und –suffizienz der Produkte/Dienstleistungen in einer
  • Lebenszyklusbetrachtung (strong business case for sustainability),
  • mögliche Geschäftsmodelle (product stewardship und product sharing),
  • geeignete Rechts- und Eigentumsformen – insbesondere Stakeholderbeteiligungen (worker/beneficiary owners) und eng begrenzte Shareholderbeteiligungen mit spezifischen Voraussetzungen (regionaler Bezug, direkte Involvierung und Mitverantwortung der Shareholder),
  • ökologisch und sozial verantwortliche Organisation und Lieferketten (Größenbegrenzung, Regionalität/Nähe, Kooperative Netzwerkstrukturen).

Mit diesen Erkenntnissen wollen wir einen Beitrag zu der bisher unzureichend bearbeiteten Frage leisten, welche Formen von Organisationen im Übergang zu und in einer Postwachstumswirtschaft benötigt werden.
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