Die Empfehlungen zum sogenannten Europäischen Statistischen System (ESS) wurden 2010 von der Eurostat Sponsorship Group „Measuring Progress, Well-being and Sustainable Development“ formuliert. Die Initiative entstand im Gefolge der Kritik und Debatten um Erweiterung des BIP, konkret der EU-Initiative Beyond GDP (2007) & der SSFC - Empfehlungen (2009).
Selbstverständnis und Motivation
Das ESS soll die Richtung vorgeben, wie ein neues Maß gesellschaftlichen Fortschritts anstelle des BIP-Wachstums aussehen könnte, das die Erfahrungen aus der EU-Initiative Beyond GDP und die SSFC - Empfehlungen ernst nimmt -- wobei die Ausrichtung auf die Haushaltsperspektive und Verteilungfragen, auf Lebensqualität und ökologische Nachhaltigkeit programmatisch ist. Für konkrete nationale Initiativen (wie den Indikatorensetz Wie geht's Österreich?) hat sich das ESS bereits als Impuls erwiesen.
Methodik
Charakteristisch für das Europäische Statistische System ist die Neu-Ausrichtung bei der Erfassung von drei Bereichen gesellschaftlichen Fortschritts:
- Haushaltsperspektive und Verteilungsaspekte von Einkommen, Konsum & Vermögen: Künftig sollen Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen so genutzt werden, dass sie die Entwicklung des materiellen Lebensstandards eines durchschnittlichen Haushalts widerspiegeln. Einkommens- & Konsumaggregate werden somit um soziale Sachtransfers (etwa Gratis-Kindergarten) erweitert, womit die Vergleichbarket verschiedener Haushaltsaggregate in unterschiedlchen sozialen Infrastrukturen vergleichbar wird. Erforderlich dazu sind 1. die Darstellung nach Haushalten, Einkommen & Konsum, 2. Informationen zur Verteilung derselben, 3. die Schaffung von Bestandskonten für Haushalte, und die erweiterte Erfassung nicht-marktlicher Haushalts- & Freizeitaktivitäten.
- Lebensqualität soll so vollständig wie möglich und konzise wie nötig dargestellt werden, objektive & subjektive Aspekte des Wohlbefindens berücksichtigen und in acht Schlüsseldimensionen abgebildet werden: Materielle Lebensbedingungen, produktive und wertgeschätzte Aktivitäten (inkl. Arbeit), Gesundheit, Bildung, Freizeit & soziale Teilhabe, ökonomische & physische Unsicherheit, Governance und Grundrechte, natürliche Umgebung & Wohnumfeld, umfassende Lebenszufriedenheit -- dabei sollen auch umfassend Ungleichheiten dargestellt werden, zudem stärkerer Fokus etwa auf "Lebensbeurteilung", "lustvolle Erfahrungen" und "Prioritäten" in Befragungen. Zentrales Erhebungsinstrument dafür ist der EU-SILC-Survey einschließlich relevanter nationaler Daten
- Nachhaltige Entwicklung und Umwelt: Viele relevante Zahlen sollen aus der Umweltgesamtrechnung abgeleitet werden -- im Detail noch offen, aber es wurden fünf "Prioritäten" definiert: Energieflusskonten, weitere Indikatoren zum Klimawandel, Frühschätzer, KonsumentInnenperspektive, Rohstoffverbrauchsindikatoren.
Aussagekraft
Das Europäische Statistische System (ESS) vereint -- auf Basis der SSFC - Empfehlungen -- einige zentrale Erkenntnisse der Debatte der letzten Jahre: den Perspektivenwechsel von der Produktion zu den Haushalten, die stärkere Berücksichtigung von Verteilungsfragen und nicht-marktlicher Produktion, die umfassende Betrachtung von Lebensqualität mit einem objektiven "Befähigungs-Ansatz" und aus einer subjektiven Perspektive des "Wohlbefindens", die Berücksichtigung zentraler Indikatoren ökologischer Nachhaltigkeit und dabei der moderate Einsatz monetärer Daten aus den Umweltgesamtrechnungen -- und das alles in einer Weise, die nicht alle Daten zu einem abstrakten, methodologisch fragwürdigen und politisch wenig praktikablen "Superindikator" zusammenzieht, sondern sie in einem "dashboard" oder "Tableau" bewertet, zur Diskussion stellt und auch in ihren Zusammenhängen analysierbar macht.
Praxis
Das ESS soll im Kontext der EU-Initiative Beyond GDP und im Anschluss an die SSFC - Empfehlungen die Richtung auf EU-Ebene vorgeben, wie ein neues Maß gesellschaftlichen Fortschritts anstelle des BIP-Wachstums aussehen könnte. Für konkrete nationale Initiativen wie den Indikatorensetz Wie geht's Österreich? hat sich das ESS bereits als wichtiger Impuls erwiesen.
Plus/Minus
+
- vereint zentrale Erkenntnisse der Debatte im Design (Einkommensperspektive, Verteilungsfrage, nicht-marktliche-Produktion, Befähigungs-Ansatz und subjektives Wohlbefinden als Aspekte der Lebensqualität, ökologische Nachhaltigkeit in physischen Einheiten, moderater Einsatz der Accounting-Perspektive)
-
- Anbindung zur EU-Politik und Verhältnis zu anderen Indikatorensystemen der EU noch offen
Quellen
[1] Eurostat Sponsorship Group Report >> ONLINE-DOKUMENT
[2] European Statistical System >> OFFIZIELLE WEBSITE