Ausgangslage, Entwicklung und aktueller Stand
Die Regionalwert AG wurde im Jahre 2006 von Christian Hiß in Freiburg i. B. gegründet und ist eine »Bürgeraktiengesellschaft«. Die Regionalwert AG sammelt Geld bei Bürgern ein, dafür werden diese Anteilseigner der Regionalwert AG. Mit dem Geld fördert die Bürgeraktiengesellschaft regionale Biolandwirte, Bioverarbeiter und Biohändler. Sie bekommen Beratung in rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Fragen und bilden ein Netzwerk. Die Bürgeraktiengesellschaft beteiligt sich langfristig als stiller Teilhaber.[1] Stand 2016 ist die Regionalwert AG an sechs landwirtschaftlichen Betrieben beteiligt, die ökologisch arbeiten und täglich regionale Produkte liefern. In zwei Biomanufakturen werden die Produkte aus den regionalen Partnerbetrieben verarbeitet. Das Spektrum reicht von Soßen und Fruchtaufstrichen über Käse bis hin zu Trockenfrüchten. Die Regionalwert-Biomärkte und die Regionalwert-Frischekiste werden mit Produkten aus den Partnerbetrieben beliefert. Vier gastronomische Betriebe verarbeiten die frischen Produkte der Partnerunternehmen und bieten Speisen und Getränke in Bioqualität an. Seit 2006 haben insgesamt 649 AktionärInnen etwa drei Millionen Euro in die Regionalwert AG Freiburg eingelegt. Damit konnten sowohl neue regionale ökologische Betriebe gegründet als auch bestehende Betriebe weiterentwickelt werden. Bis Ende Januar 2017 wurden 3000 neue Aktien zum Preis von 500 Euro / Aktie ausgegeben.[1]Christian Hiß benötigte Anfang des Jahrtausends einen Kredit, um seinen Biobauernhof auszubauen und dem »Hofsterben« im Schwarzwald etwas entgegenzusetzen. Das Aussterben der kleinen Höfe war auf verschiedene Entwicklungen zurückzuführen: Lebensmittel wurden seit Jahren tendenziell günstiger, die Marktmacht des Handels nahm sukzessive zu. Großbetriebe setzten auf Hochleistungspflanzen in Monokulturen, die sich kurzfristig effizienter und günstiger produzieren lassen, langfristig jedoch den Böden schaden. Arbeitsplätze und mit ihnen die Menschen verschwanden aus den Dörfern, die Nahversorgung ist heute häufig nur noch peripher vorhanden. Die Kluft zwischen bäuerlichen Produzenten und Konsumenten wurde immer größer, gesellschaftliche Entsolidarisierungsprozesse und ökonomischer Druck auf die kleinen Bauern forcierten das Aussterben kleiner ökologischer Höfe. Christian Hiß wollte zeigen, dass all dies auch anders geht, er bekam jedoch kein Geld von den Banken. Deshalb gründete er die Regionalwert AG.[2]
Positive Effekte im Hinblick auf die Aspekte einer regionalen Resilienz
Versorgungssicherheit und -souveränität
Die von der Stadt Freiburg in Auftrag gegebene Studie »Regionaler Konsum in Freiburg« aus dem Jahre 2016 kommt zu dem Ergebnis, dass nur knapp 8 Prozent des Obstes und knapp 13 Prozent des Gemüses, das in Freiburg gegessen wird, aus der Region stammen.[3] Die Regionalwert AG stärkt mit ihrem Geschäftsmodell die regionale Selbstversorgung mit ökologisch produzierten Lebensmitteln. Sie hilft bestehenden Bio-Betrieben und gründet neue Betriebe, um den Fremdabhängigkeitsgrad der Region zu vermindern. Das Ziel ist die wirtschaftlich tragfähige Ernährungssouveränität der Bevölkerung in überschaubaren regionalen Wirtschaftsräumen.[1] Die Versorgungssicherheit in der Region wird erhöht, da kurze Transportwege und Wertschöpfungsketten weniger störungsanfällig sind. Kurze Transportwege bedeuten hohe Stabilität, auch bezüglich der Preise bei steigenden Transportkosten. Alle Ansprechpartner sind räumlich eng verbunden und vernetzt, so dass straffe Rückkoppelungsschleifen entstehen. Aufgrund der Beteiligung von Produzenten, Verarbeitern, Gastronomen und Bio-Märkten wird eine regionale Wertschöpfungskette geschaffen, die auf Kleinteiligkeit, Ökologie und Kooperation beruht. Zudem wird eine direkte Verbindung zwischen Produzenten und Konsumenten hergestellt.[4]Abkehr vom expansiven Modernisierungspfad
Die Bürger beteiligen sich direkt an der regional-ökologischen Wertschöpfungskette »vom Feld bis auf den Teller« [1], wodurch ein geteiltes Regionalbewusstsein entstehen kann. Die Anteilseigner können sich nicht nur ökologisch und regional ernähren, sondern sehen auch, dass durch ihre Anteile kleinteilige bäuerliche Strukturen gestärkt werden. Das Projekt soll einen Beitrag zu Sicherung von Arbeit und Einkommen in der Region leisten. Im besten Falle kann hierdurch die Abwanderung aus den ländlichen Regionen begrenzt werden. Dies fördert das Gefühl, als Bürger unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung seines Umfeldes nehmen zu können. Solidarität, Identität und Naturbezug können gestärkt werden. Da die Regionalwert AG nach eigener Aussage demokratisch gestaltet ist,[1] werden Partizipation und Mitbestimmung gefördert.[4] Die Regionalwert AG unterstützt nicht nur eine Re-Regionalisierung der Nahrungsmittelerzeugung, sondern auch eine Dekonzentration auf kleinteilige regionale Wirtschaftseinheiten, was dem Prinzip der Subsidiarität entspricht. Die Abkehr vom expansiven Modernisierungspfad vollzieht sich durch eine Gegenbewegung zur Landkonzentration und zu industriellen Großbetrieben in der Landwirtschaft. Die kleinen Biohöfe sind durch die direkte Kooperation mit den Biomärkten der Regionalwert AG unabhängig von den großen Handelsketten, wodurch Autonomie und Selbstbestimmung gestärkt werden. Die Betriebe können selbstbestimmt arbeiten und haben weniger ökonomischen Druck, der häufig zu Entscheidungen führt, die Mensch und Natur langfristig schaden.[4]Lokale Gemeinschaft
Die lokale Gemeinschaft wird durch die kurzen Wege und die enge Zusammenarbeit im Verbund gefördert. Lokale Kompetenzen und Kapazitäten werden in der Regionalwert AG gebündelt genutzt und vernetzt, so dass eine regionale Wertschöpfungskette entsteht. Die Nähe von Produzenten und Verbrauchern trägt ebenfalls zur Entstehung einer lokalen Gemeinschaft bei. Ziel der Regionalwert AG ist nach eigener Aussage ein Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft.[1] Die Bürgeraktiengesellschaft soll zeigen, wie es gehen kann, regionalen Wohlstand zu schaffen und den globalen Entwicklungen von Kapitalorientierung, Machtkonzentration und Ressourcenausbeutung etwas entgegenzusetzen.Die gewählte Lösungsstrategie ist nicht unbedingt neu – sie besteht vielmehr in der bewussten Rückbesinnung auf altbewährte Konzepte. Regionale ökologische Erzeugung von Nahrungsmitteln war bis Anfang des 20. Jahrhunderts der Standard. In Anbetracht des Zeitgeistes und der Entwicklungen der letzten 50 Jahre ist das Konzept der Regionalwert AG jedoch eine Überwindung von Bestehendem und somit eine Neuerung. Der Ökonom Niko Paech bezeichnet diese Formen der (sozialen) Innovationen als Imitation, womit der Rückgriff auf Problemlösungen gemeint ist, die bekannt und auf ihre Nachhaltigkeit hin geprüft sind.[5] Neue Abhängigkeiten werden damit vermieden, die Versorgung vorausschauend sichergestellt.
Erfolgsfaktoren
Die Nachfrage nach regionalen ökologischen Erzeugnissen wächst seit Jahren stetig.[1] Diesen Trend nutzt die Regionalwert AG, indem sie (1) die bestehenden landwirtschaftlichen Betriebe zusammen mit den Betriebsleitern weiter ausbaut und sich an neuen Betrieben beteiligt; (2) in Zusammenarbeit mit den Naturkostgroßhändlern regionale Biomärkte eröffnet; (3) sich an gastronomischen Betrieben beteiligt. Mit dem eingelegten Kapital werden ökologisches Obst, Gemüse, Kräuter, Blumen, Saatgut, Milch, Käse etc. produziert. Jungunternehmern und Hofnachfolgern wird durch die Beteiligung der Regionalwert AG eine Perspektive gegeben. Bis sich die Investitionen der Bürger rein finanziell rechnen, brauchen die Anteilseigner ein paar Jahre Geduld. Die »nichtfinanzielle Dividende« fließt jedoch von Anfang an: Man kann sich ökologisch aus der Region ernähren, die Dorfstrukturen werden gestärkt, Arbeitsplätze in der Region gehalten, Abwanderung wird gestoppt, Solidarität geschaffen. Ein Erfolgsfaktor der Regionalwert AG ist, dass es viele Menschen gibt, denen diese nichtfinanzielle Dividende etwas wert zu sein scheint. Man kann als Bürger direkten Einfluss nehmen. Dieses Gefühl ist offensichtlich wichtig für die Anteilseigner. Die Regionalwert AG bietet die Möglichkeit, aktiv Verantwortung zu übernehmen, für die Region in der man lebt und in der die Lebensmittel produziert werden, die man täglich isst.[4]Das Konzept könnte ein Modell für viele Regionen sein. In Anbetracht zahlreicher Lebensmittelskandale möchten immer mehr Menschen wissen, woher ihr Essen kommt. Eine starke regionale Landwirtschaft ist ihnen etwas wert. Es gibt genügend junge Landwirte, die gern einen Biohof betreiben würden, denen nur die finanziellen Mittel fehlen. Das Geschäftsmodell der Bürgeraktiengesellschaft schafft die notwendigen Infrastrukturen und bringt die Wünsche der Konsumenten sowie der Bio-Landwirte zusammen. Um das Konzept auf andere Bundesländer zu übertragen, hat die Regionalwert AG eine Dachorganisation gegründet, deren Ziel es ist, das Modell weiter zu tragen. In Bayern gibt es bereits den ersten selbstständigen Ableger, geleitet von einem Unternehmer und einem Landwirt. Mit fünf weiteren Regionen in Deutschland führt Christian Hiß derzeit Gespräche.[1]
Unterstützungsmöglichkeiten durch die öffentliche Hand
Die Regionalwert AG verändert durch konkrete Kapitalbeteiligungen an Betrieben in ländlichen Gebieten Strukturen in der Landwirtschaft, in der Verarbeitung und im Handel. Die öffentliche Hand kann das Geschäftsmodell ganz einfach kopieren. Sie kann Bio-Bauern, aufgeklärte Konsumenten und Unternehmer an einen Tisch bringen und eine Regionalwert AG für die Steiermark initiieren. Das Geld kommt von den Bürgern, die Aktien kaufen, die Steuerungsfunktion übernimmt die Aktiengesellschaft, die von der öffentlichen Hand gegründet werden kann. Es sind hierfür kaum eigene finanzielle Mittel notwendig. Die Aufgabe besteht im Aufbau der geeigneten Infrastrukturen, damit das Geld von den Bürgern bei den Erzeugern landet. Die öffentliche Hand verbindet die regionale Realwirtschaft mit der regionalen Finanzwirtschaft. Es geht alleine um eine Koordinationsfunktion, die übernommen und strukturiert werden muss. Die öffentliche Hand kann mit einer Bürgeraktiengesellschaft Aufbau- und Entwicklungsarbeit in der Vernetzung und Betreuung in der Gründungsphase von regionalwirtschaftlichen Betrieben übernehmen. Sie ist Anlaufstelle für Hofsuchende und Hofabgebende. Die außerfamiliäre Hofnachfolge zu finanzieren, ist eine der Hauptaufgaben, die durch die öffentliche Hand unterstützt werden kann.Allen Beteiligten muss vermittelt werden, dass mit dem Konzept einer kleinteiligen ökologischen »bäuerlichen Landwirtschaft« die Versorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln langfristig besser gesichert werden kann als mit einer industrialisierten Form der Landwirtschaft. Es wird immer deutlicher, dass die industrialisierte Landwirtschaft zwar kurzfristig rentabler und effizienter wirkt, langfristig für die Gesellschaft jedoch riesige Kosten verursacht, in Form ausgelaugter Böden und einem Verlust an Biodiversität. Dies wird Räume für die Gestaltung zukunftsfähiger Nahrungsmittelstrukturen eröffnen, die durch die öffentliche Hand genutzt und ausgebaut werden müssen. Die wichtigsten Eigenschaften bäuerlicher Landwirtschaften waren stets die Versorgung einer sozialen Gemeinschaft, der Generationenvertrag, die bedarfsorientierte Produktion, der Hoforganismus, die Vielfalt im Anbau, die Vermarktung im Umkreis und die Nutzung von Erfahrungswissen.[1] Diese Eigenschaften müssen die Grundlage für zukünftige Konzepte regionaler Selbstversorgung bilden und durch die öffentliche Hand unterstützt werden. Die Hauptaufgabe der öffentlichen Hand liegt in der Förderung der Bewusstseinsbildung sowie die Übernahme der Koordinierungsfunktion für den Aufbau einer Bürgeraktiengesellschaft.
Quellen
[1] Internetseite der Regionalwert AG, http://www.regionalwert-ag.de[2] Prummer, Karin (2011), Früchte des Zorns, in: Financial Times Deutschland, 19.12.2011
[3] Stadt Freiburg (Hrsg.) (2016), Wie regional ernährt sich Freiburg?, http://www.freiburg.de/pb/site/Freiburg/get/params_E573305016/1045847/Regional-Konsum.pdf
[4] Imagebroschüre der Regionalwert AG, http://www.regionalwert-ag.de/wp-content/uploads/2016/10/Imagebroschüre.pdf
[5] Paech, Niko (2005), Richtungssicherheit im nachhaltigkeitsorientierten Innovationsmanagement, http://www.nova-net.de/Images/2_Exp-WS_Richtungssicherheit_im_nachhaltigkeitsorientierten_Innovationsmanagement_Paech_tcm231-54900.pdf