Die sogenannten W³ Indikatoren wurden von der deutschen Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft des Bundestages konzipiert. Die Kommission wurde 2011 ins Leben gerufen, sie setzt sich aus 17 Abgeordneten aller Fraktionen und 17 ExpertInnen zusammen und veröffentlichte im Mai 2013 einen 844-seitigen Bericht, der u. a. den Entwurf des Indikatoren-Tableaus, Ideen und Vorschläge zu ihrer Anwendung und Kommentare der Fraktionen enthält -- seither ist es aber relativ still geworden um die Arbeit der Kommission.

 

Selbstverständnis und Motivation

Die Enquete-Kommission wurde vom Dt. Bundestag mit dem Auftrag eingerichtet, auf Basis des internationalen Diskussionsstands "dem Gesetzgeber künftige Regelungs- und Entwicklungsmöglichkeiten auf[zu]zeigen" ([1] : 23). Ausgangspunkt und "zentrale Aussage" der Arbeit der Kommission war dabei: "Ein Mehr an Gütern, ein Mehr an materiellem Wohlstand ist nicht (mehr) das Maß aller Dinge." (ebd. : 25) Eine der Zielsetzungen war die "Entwicklung eines ganzheitlichen Wohlstands- beziehungsweise Fortschrittsindikators" (ebd. : 24), der von der "Projektgruppe 2" nach zweijähriger Arbeit vorgelegt wurde -- die anderen vier Projektgruppen beschäftigten sich mit Fragen des Wachstums in Wirtschaft und Gesellschaft, der Entkoppelung von Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum, mit "nachhaltig gestaltender Ordnungspolitik" und dem Themenkomplex "Arbeitswelt, Konsumverhalten und Lebensstile". Die W³ Indikatoren folgen den SSFC - Empfehlungen in zwei Punkten: im "Befähigungsansatz" (ebd. : 235f) und in der Skepsis gegenüber einem "Superindikator" zugunsten eines "dashboard"-Ansatzes -- konkret eines Indikatoren-"Tableaus" (ebd. : 236). Das Indikatorenset soll die Richtung vorgeben, wie man Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität in Deutschland künftig messen sollte -- umfassender, aussagekräftiger und nicht so wachstumsfixiert wie das BIP.

 

Methodik

Die W³ Indikatoren sind das Ergebnis eines wissenschaftlich begleiteten politischen Konsultationsprozesses -- was dem methodologischen Anspruch nach gerade richtiger Komplexität noch einen weitere Kompromissebene hinzufügt : "Soviel wie nötig, so wenig wie möglich war der Leitgedanke der Debatte." (ebd. : 235) Die Enquete-Kommission bezeichnet den so gewonnenen Indikatorensatz als "ein „erweitertes BIP“ ..., das aus zehn Leitindikatoren besteht und neben dem Materiellen auch die Wohlstands-Dimensionen Soziales/Teilhabe und Ökologie abbildet." (ebd. : 25) Konkret ist der Indikatorensatz wie folgt aufgebaut (vgl. im Folgenden ebd. : 324ff):

1. Materieller Wohlstand

  • BIP -- BIP pro Kopf, Veränderungsrate des BIP pro Kopf (Rang des absoluten BIP global)
  • Einkommensverteilung -- P80/P20
  • Staatsschulden -- Schuldenstandsquote (Tragfähigkeitslücke)

2. Soziales und Teilhabe

  • Beschäftigung -- Beschäftigungsquote
  • Bildung -- Sekundarabschluss-II-Quote
  • Gesundheit -- Lebenserwartung
  • Freiheit -- Weltbank-Indikator "Voice & Accountability"

3. Ökologie

  • Treibhausgase -- nationale Emissionen
  • Stickstoff -- nationaler Überschuss
  • Artenvielfalt -- nationaler Vogelindex

Dazu gibt es "so genannte Warnlampen", das sind weitere Indikatoren im Hintergrund, die nur dann sichtbar und analysiert werden, wenn sie sich negativ entwickeln bzw. bestimmte Grenzwerte überschreiten, darunter

  • Nettoinvestitionen, Vermögensverteilung & finanz. Nachhaltigkeit des Privatsektors
  • Unterbeschäftigung, Weiterbildung, gesunde Lebensjahre
  • jeweils globale Kennzahlen der national erfassten Indikatoren (THG, N, Artenvielfalt)

Darüber hinaus empfiehlt die Enquete-Kommission, durch eine alle 5 Jahre (bislang alle 10 Jahre) durchgeführte "Zeitbudgeterhebung" die nicht-marktvermittelte Produktion besser zu erheben und alle anderen Indikatoren jährlich zu berechnen.

 

Aussagekraft

Die W³ Indikatoren bringen zentrale Probleme der herkömmlichen Wohlstandsmessung zur Sprache und skizzieren ein alternatives Design mit zentralen Dimensionen, Leitindikatoren und Vorschlägen zur Erhebung der dafür nötigen Daten. Sie folgen dabei (implizit) dem "dashboard"-Ansatz der SSFC - Empfehlungen. Das Indikatoren-Tableau folgt vom Aufbau her der Vorstellung einer "dreidimensionalen" nachhaltigen Entwicklung -- diese soll aber jeweils innerhalb jeder Dimension, quasi als "Querschnittsmaterie", gesichert werden. Diese werden in insgesamt 10 "Leitindikatoren" aufgeschlüsselt, die wiederum Varianten aufweisen können, aber meist als nur sehr grobe "proxies" für den damit gemessenen Teilaspekt erscheinen -- ein methodologischer und politischer Kompromiss.

Den Aspruch, mit dieser Auswahl zentrale ökonomische, soziale und ökologische Herausforderungen mit möglichst wenigen und aussagekräftigen Indikatoren zu messen, löst man damit nur zum Teil ein. Andererseits hebt es wieder die Aussagekraft eines solchen Indiaktorensatzes, wenn er in einem breiten, demokratischen Konsultations- und Entscheidungsprozess entwickelt wurde.

 

Praxis

Die Enquete-Kommission hatte in ihrem Abschlussbericht dem Deutschen Bundestag empfohlen, "den mehrheitlich beschlossenen Indikatorensatz in geeigneter Form gesetzlich zu verankern." (ebd. : 235) Die W³ Indikatoren sind indes immer noch nicht in der politischen Praxis angelangt. Sämtliche im Abschlussbericht der Enquete-Kommission darüber hinaus vorgeschlagene Maßnahmen, um -- so das zentrale Ziel -- "die gesellschafrtliche Debatte zu beflügeln", harren noch ihrer Umsetzung -- die Web-Plattform dazu ist etwa bis heute "im Aufbau", aus den bereits graphisch skizzierten "Visualisierungen" und interaktiven "Stand-Displays" im Bundestagsgebäude (vgl. ebd. : 29) ist wohl auch nichts geworden.

Die Enquete-Kommission war auch von den Bundestagsfraktionen mit Mitgliedern beschickt worden -- und diese haben in "Sondervoten" methodische und v. a. politische Forderungen zur Umsetzung aufgestellt: Die Linke spricht sich bspw. für ein einfaches "Trio der Lebensqualität" aus, welches sich aus durchschnittlichen Bruttolöhnen, der Vermögensverteilung und dem "ökologischen Fußabdruck" zusammensetzt, und sie fordert die Einsetzung eines permanenten "Rats für sozialen und ökologischen Wohlstand" als Forschungs- und Beratungseinrichtung des Bundestages. In ähnlicher Weise sprechen sich Bündnis 90/Die Grünen für einen "Wohlstandskompass" aus vier Dimensionen aus, der neben dem BIP/Kopf, der 80/20 Einkommensverteilung und dem "ökologischen Fußabdruck" mit der "Lebenszufriedenheit" auch einen subjektiven Indikator vorsieht -- die Grünen fordern zur politischen Steuerung vernünftigerweise aber auch die Stärkung der Indikatoren der bestehenden Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie.

Auch wenn die W³ Indikatoren (wie die meisten der Ergebnisse der anderen Projektgruppen) letztlich für die Ablage waren -- das kann sich schnell ändern, wenn auch die politischen Realitäten sich wieder ändern und auf die erarbeiteten Ergebnisse zurückgegriffen wird. Nicht zuletzt ist das wohl auch das fürs Erste einmal bedeutsamste Ergebnis: Dass das Parlament eines der wirtschaftlich stärksten Länder der Welt eine Kommission einsetzt, die sich mit zentralen Problemen unserer gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklung auseinandersetzt -- wenn auch bislang die Symbolkraft stärker ist als die reale politische.

 

Plus/Minus

+

  • gut argumentierter "capability"- & "dashboard"-Ansatz
  • Ergebnis eines wissenschaftlich begleiteten & demokratisch legitimierten Konsultationsprozess

-

  • sehr reduziert
  • wenig originell
  • Umsetzung offen
  • ersetzt möglicherweise anspruchsvollere Indikatoren der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie

 

Quellen

[1] Schlussbericht der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft" >> ONLINE-DOKUMENT

[2] OFFIZIELLE WEBSITE [zur Zeit der Abfassung dieses Dossiers noch "im Aufbau" -- Stand 29.1.2016]