Das System of Environmental-Economic Accounting (SEEA) der UN-Statistikkommission ist das Ergebnis einer Initiative, die bereits 1993 von UN-ExpertInnen in Zusammenarbeit mit zahlreichen Einzelstaaten, UN-Agenturen, der Weltbank, dem IMF, der OECD und der EU gestartet worden war. Das SEEA ist als "Accounting-Ansatz" nicht bloß kompatibel mit dem System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (System of National Accounts) der UN (und damit mit dem BIP) -- es befindet sich gewissermaßen auf Augenhöhe damit, was seinen Status als internationaler Standard für offizielle Statistiken angeht. Zugleich zeigt sich damit, dass dieser formale Status allein noch nicht die praktische Bedeutung einer Kennzahl ausmacht. In der Tat ist das SEEA nach zwei Jahrzehnten der Aufbauarbeit immer noch "in Arbeit" und dabei auf das Wohlwollen der Nationalstaaten, die Mitarbeit nationaler Statistik-Agenturen und Geldgeber angewiesen.
Selbstverständnis und Motivation
Das System of Environmental-Economic Accounting (SEEA) versteht sich als ein "umfassendes konzeptuelles Accounting-Framework" ("comprehensive conceptual accounting framework"), das grundlegende ökonomische, soziale und ökologische Kennzahlen in einem System zur Unterstützung einer Politik der Nachhaltigkeit integriert. Vom Zugang her beruft sich das SEEA auch auf Erfahrungen und Forderungen aus Agenda21-Prozessen ("integrated policy decision-making is crucial"). Die integrierte "Accounting-Perspektive" soll Zusammenhänge, Impacts und Trade-Offs von Entscheidungen in ökologischen & sozialen Dimensionen sichtbarmachen.
Methodik
Das System of Environmental-Economic Accounting (SEEA) basiert auf allgemeinen Prinzipien des ökonomischen Rechnungswesens, wie sie auch im System of National Accounts (SNA) Anwendung finden. Das SEEA fokussiert im Gegensatz dazu aber auf "außerökonomische" Wechselwirkungen der wirtschaftlichen Entwicklung, v. a. mit den Ökosystemen und gesellschaftlichem Wohlbefinden. Das SEEA lässt sich auch nicht auf eine einzelne Kennzahl aggregieren und zuspitzen -- es repräsentiert vielmehr eine integriertes System von Kennzahlen, die für jeweils unterschiedliche Zwecke (u. a. auch nach dem DPSIR-Modell, wie beim EEA-CSI Core Set of Indicators) ausgewertet oder zusammengefasst werden können.
Vier Handlungsfelder der Nachhaltigkeitspolitik können durch das SEEA direkt mit relevanten Informationen versorgt werden:
- verbesserter Zugang zu Leistungen und Ressourcen, hier v. a. Wasser und Energie
- nachhaltiger Ressourcenverbrauch, hier v. a. Ressourcenverbrauch, Abfälle und Emissionen, Resourceneffizienz, Entkoppelung, CO2-relevante Kennzahlen für Produkte, grüne Produkten und Jobs
- Erhalt des natürlichen Kapitals & Minimierung negativer Impacts, hier v. a. Bestand natürlicher Ressourcen, Emissionen und Abfälle, Umweltschutzausgaben, Landverbrauch, Zustand von Ökosystemen, Ökosystem-Dienstleistungen
- Risikominimierung & Resilienz, hier v. a. THG-Emissionen, Ausgaben für Gegenmaßnahmen (bessere Technologien) & Vorsorge-/Anpassungsmaßnahmen (Deiche z. B.)
Zudem beinhaltet das SEEA auch "Subsysteme" wie das SEEA-Water (seit 2007) und das SEEA-Energy (in Arbeit).
Aussagekraft
Das System of Environmental-Economic Accounting (SEEA) liefert relativ konsistente, umfassende und vergleichbare Daten, integriert sie aus einer Accounting-Perspektive und erlaubt damit u. a. Antworten auf Fragen wie z. B. wer von der Verwendung natürlicher Ressourcen profitiert, welche Auswirkungen das auf die Umwelt hat, wie sich das auf die Zusammensetzung der Einkommen auswirkt, ob/wie der Verbrauch an natürlichem Kapital kompensiert wird, wie sich der nationale Wohlstand zusammensetzt und ob die gegenwärtigen Produktions- & Konsummuster nachhaltig sind. Zeitreihen der ermittelten Daten ermöglichen zudem die Analyse der Entwicklung im Hinblick auf diese und weitere nachhaltigkeitsrelevante Fragen.
Dennoch bleibt das SEEA damit nur eine Ergänzung zum System of National Accounts (SNA), die notwendig, aber nicht hinreichend ist: Es berücksichtigt soziale Aspekte nur indirekt und am Rande, es ist ebenso blind für ökonomische Leistungen abseits des Marktes, und der eigene Anspruch, ein integriertes System zu entwickeln, kann auf diese Weise nicht eingelöst werden.
Praxis
Das SEEA ist immer noch als "work in progress" einzustufen. Um es zu einem politisch verbindlichen und brauchbaren Instrument zu machen, braucht es v. a. noch mehr und bessere Daten aus noch mehr Ländern -- v. a. aber den politischen Willen, dass die damit beobachteten Zielgrößen auch tatsächlich politisch akkordiert und umgesetzt, und nicht nur gemessen werden.
Plus/Minus
+
- integrierte Perspektive
- breiter, langer Konsultationsprozess
-
- noch kaum etabliert, braucht offens. noch viel Zeit, Geld und ein klares Commitment der Nationalstaaten
- praktisch rein ökologisches Indikatorensystem
- Aggregation und moneträe Bewertung unklar
Quellen
[1] Factsheet "System of Environmental-Economic Accounting" >> ONLINE-DOKUMENT
[2] System of Environmental-Economic Accounting (SEEA) >> OFFIZIELLE WEBSITE & BROSCHÜRE
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Vorarbeiten zum Index des Environmentally Sustainable National Income (eSNI) stammen bereits aus den 1960ern, von den niederländischen Ökonomen Jan Tinbergen & Rofie Hueting. Die aktuelle Systematik entwickelten sie 1992, aus Anlass der UN-Konferenz in Rio. Die niederländische Statistik-Agentur erhebt und publiziert seither in Kooperation mit dem WWF Zahlen für die Niederlande, welche zeigen, dass wirtschaftliche Entwicklung (gemessen am BIP/BNE) und ökologische Nachhaltigkeit (gemessen am eSNI) immer weiter auseinanderdriften.
Selbstverständnis und Motivation
Der Index des Environmentally Sustainable National Income (eSNI) soll innerhalb des Systems der wirtschaftlichen Gesamtrechnungen zeigen, wie nachhaltig das Nationaleinkommen (BNE) erwirtschaftet wird -- und das über Raum und Zeit vergleichbar, als griffige und unabdingbare Kennzahl für gesamtwirtschaftliche Steuerung mit dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung. Der Index wendet sich damit gegen die irrige Vorstellung, gesellschaftliche "Wohlfahrt" durch das BIP (wenn auch nur als "proxy") messen bzw. durch stetig wachsende Produktion steigern zu können, weil dabei die Bedeutung und zukünftige Verfügbarkeit natürlicher Ökosystem-Funktionen ausgeblendet werden. Der eSNI-Index liefert damit eine monetäre Kennzahl, welche das System der wirtschaftlichen Gesamtrechnungen um die Perspektive ökologischer Nachhaltigkeit ergänzen und damit korrigieren soll.
Methodik
Der eSNI-Index definiert -- als Schätzwert -- das maximal erreichbare Produktionsniveau, auf welchem die lebensnotwendigen Ökosystem-Funktionen ("vital environmental functions") auch für zukünftige Generationen erhalten werden können, mit heute verfügbaren Technologien. Der Index beschreibt also ein Distanzmaß zwischen der tatsächlichen und einer nachhaltigen Situation, und er zeigt, wie sich die Teile des Nationaleinkommens, die jeweils nicht bzw. nachhaltig erwirtschaftet werden, über die Zeit im Verhältnis zueinander entwickeln. Die Differenz zwischen eSNI und BNE wird dabei in Faktorkosten ausgedrückt. Der eSNI-Index ist damit direkt mit dem Wert des Bruttonationaleinkommens vergleichbar und lässt sich somit unmittelbar in das System der wirtschaftlichen Gesamtrechnungen integrieren.
Aussagekraft
Der eSNI-Index soll innerhalb des Systems der wirtschaftlichen Gesamtrechnungen zeigen, ob die wirtschaftliche Entwicklung einer Gesellschaft insgesamt ökologisch nachhaltig ist -- bzw. konkret die lebensnotwendigen Ökosystem-Leistungen für kommende Generationen erhält -- oder nicht. Indirekt lässt sich daraus aber z. B. auch ablesen, dass ökologische Nachhaltigkeit nicht ohne drastische Erhöhung des Preis-Unterschieds zwischen mehr und weniger nachhaltiger Produktion zu haben sein wird. Als Korrektur des BIP/BNE um den Aspekt ökologischer Nachhaltigkeit macht der eSNI-Index eine klare und wichtige Aussage. Konkret beruht der errechnete Index-Wert indes auf Schätzwerten, individuellen Definitionen und Kategorisierungen, welche die Gültigkeit und Verlässlichkeit dieser Aussage schmälern.
Praxis
Der eSNI-Index wird seit 1992 alle fünf Jahre von der nationalen Statistikbehörde für die Niederlande berechnet.
Plus/Minus
+
- dockt direkt im System der wirtschaftlichen Gesamtrechnungen an
- nachvollziehbar in der Konzeption als Indikator für ökologische Nachhaltigkeit, klar in der Aussage
-
- beruht auf Schätzwerten, Definitionen und Kategorisierungen, die nicht allgemein geteilt werden
- Gültigkeit und Verlässlichkeit ist noch umstritten
- sehr abstrakte, wenn auch eindringliche Definition von "Nachhaltigkeit", die noch entspr allgemein verbindlich operationalisiert werden müsste
- Fokus allein auf ökologische Kenngrößen
Quellen
[1] Factsheet "Environmentally Sustainable National Income" >> ONLINE-DOKUMENT
[2] Environmentally Sustainable National Income >> OFFIZIELLE WEBSITE
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Die Grundidee des "ökologischen Fußabdrucks" wurde 1996 von Mathis Wackernagel & William Rees an der University of British Columbia in Vancouver entwickelt. Seit 2003 wird der EFP vom Global Footprint Network, bestehend aus 75 Partnerorganisationen, weiterentwickelt und als Alternative zum BIP propagiert. Der "ökologische Fußabdruck" hat mittlerweile bereits Einzug in die Alltagssprache, aber auch in die nationalen Statistikbüros vieler Länder auf der ganzen Welt gefunden, und er hat sich als Instrument in der Entwicklungs- und Nachhaltigkeitspolitik bereits etalbiert -- und nicht zuletzt auch als Teilindex in andere alternative Messgrößen (wie bspw. den HPI - Happy Planet Index) Eingang gefunden.
Selbstverständnis und Motivation
Die Ermessung des gesamten menschlichen "Bedarfs" an und "Effekts" auf "Natur" wird als Voraussetzung gesehen, um eine (ökolog.) nachhaltige Entwicklung messen und managen zu können. Ökologisches "Accounting" muss demnach zentraler Bestandteil ökonomischer Entscheidungen werden, und langfristig sollen darauf aufgebaute Indizes ebenso bedeutsam und selbstverständlich werden wie heutzutage das BIP.
Methodik
Der "ökologische Fußabdruck" gibt an, wie viel biologisch produktives Land und Wasser ein Individuum, ein Land, eine Aktivität (oder auch ein Produkt) benötigt, um die jeweils konsumierten Ressourcen zu produzieren und entstehende Abfälle zu absorbieren -- nach gängigen Technologien & Praktiken. Der EFP basiert auf dem Konzept der "Massenflussbilanz", übersetzt in die dafür notwendigen ökologisch produktiven Bereiche: bebautes Land, Waldland, Fischgründe, Grasland, Ackerland, CO2. Vergleicht man den so ermittelten EFP mit der (eigenen) Biokapazität bspw. eines Landes, so lassen sich daraus Biokapazitäts-Defizite ermitteln.
Der EFP wir jährlich für praktisch alle Länder der Welt berechnet und gilt weithin als anerkannter Indikator der "Unnachhaltigkeit" unserer gegenwärtigen Lebens- und Wirtschaftsweise.
Aussagekraft
Der EFP misst lediglich einen Aspekt der (ökologischen) Nachhaltigkeit, das ist die regenerative Kapazität der Erde. So gut der EFP diesen Aspekt in Konzept und Methodik auch erfasst -- er kann weder als seriöse Alternative zum BIP, noch als umfassende Maßzahl ökologischer Nachhaltigkeit gelten. Dazu fehlen ihm zum einen natürlich ökonomische und soziale Größen, zum anderen Messgrößen zur Ausbeutung nicht-erneuerbarer Ressourcen und zur unmittelbaren Zerstörung der natürlichen Umwelt, einschließlich der Öko-Systeme.
Nichtsdestotrotz kann der EFP als zentraler, aussagekräftiger und dabei anschaulicher Index dafür aufgefasst werden, was er misst: den Umgang mit der regenerativen Kapazität der Erde. Das ist eine ganz wesentliche Information für die Frage der Nachhaltigkeit unserer Lebens- und Wirtschaftsweise. Als Teilindex umfassenderer Indizes (wie bspw. des HPI - Happy Planet Index) drängt er sich damit förmlich auf. Das Global Footprint Network arbeitet indes laufend an der Verbesserung und methodologischen Verfeinerung des EFP.
Praxis
Aufgrund seiner Qualitäten ist der EFP mittlerweile sehr populär, wurde mehrfach ausgezeichnet und auch bereits in vielen Ländern (2015 weltweit in jedem zehnten) in unterschiedlichen administrativen und politischen Bereichen fix institutionalisiert. Auf Basis der EFP-Berechnungsmethode lassen sich damit der ökologische Fußabdruck der Menschheit, aber auch des jeweils individuellen Lebensstils oder auch eines bestimmten Produkts ermitteln. Darüber hinaus dient der EFP als wichtiges Instrument in der Entwicklungspolitik und er ist auch Bestandteil der Green Economy Initiative der UNEP.
Plus/Minus
+
- bestechendes Konzept
- aussagekräftig & anschaulich
- gut geeignet, um in umfassendere Indizes zu integrieren
-
- eingeschränkte Aussagekraft
- als BIP-Alternative nicht, als umfassende Maßzahl ökologischer Nachhaltigkeit wenig geeignet
Quellen
[1] Factsheet "Ecological Footprint" >> ONLINE-DOKUMENT
[2] Global Footprint Network -- Ecological Footprint >> OFFIZIELLE WEBSITE
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Die Schlüsselindikatoren der European Environment Agency wurden 2004 EU-weit akkordiert und sollen die EU-Umweltpolitik durch verlässliche, aktuelle, zielgerichtete & relevante Umweltindikatoren unterstützen.
Selbstverständnis und Motivation
Die EEA-CSI sind Teil eines größeren Datensatzes, der als Basis für umweltpolitische Entscheidungen dienen soll. Künftig sollen dazu auch verstärkt Wechselwirkungen zwischen ökonomischen, sozialen und ökologischen Aspekten von Lebensqualität berücksichtigt werden.
Methodik
Die EEA-CSI wurden nach dem sogenannten "DPSIR-Modell" entwickelt, wonach jeweils Driving Forces, Pressures, State, Impact, Responses identifiziert werden, um die umfassenden Wechselwirkungen der natürlichen Umwelt mit der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung abzubilden: Zu den Driving Forces gehören etwa der demographische Wandel und wirtschaftliche Aktivität, zu den Pressures Emissionen, Land- und Ressourcenverbrauch, zum Bereich State Temperatur, Artenvielfalt, Bodenfruchtbarkeit, unter Impact werden Veränderungen und Wechselwirkungen im Zustand von Ökosystem & Gesellschaft, Wohlbefinden & Gesundheit ermittelt, und unter Response fallen z. B. Recycling-Raten oder der Anteil erneuerbarer Energien.
Das EEA-CSI besteht aus 37 Indikatoren, die sich sechs Themen (Luft, Klima, Abfall, Wasser, Biodiversität & Boden) und vier "Sektoren" (Landwirtschaft, Energie, Transport, Fischerei) zuordnen oder nach ihrem Verhältnis zum politischen Prozess klassifizieren lassen, z. B. deskriptive, Performance-, Effizienz-, Effektivität- & "total welfare"-Indikatoren. Das EEA-CSI ist mittlerweile gut etabliert, wird regelmäßig erhoben und dient auch als Basis für weitere internationale Erhebungen zu Fragen nachhaltiger Entwicklung. Ein erweiterter Datensatz umfasst 225 Indikatoren, die 12 Themenbereichen zugeordnet sind, die EEA-CSI untermauern und konkretisieren und damit letztlich Schnittstellen zu speziellen politischen Prozessen bilden sollen. Das gesamte Indikatorenbündel lässt sich in Form einer "Indikator-Blüte" mit 12 Blütenblättern grafisch darstellen.
Aussagekraft
Das EEA-CSI eignet sich mangels ökonomischer und sozialer Indikatoren nicht als vollwertige Alternative zum BIP -- es hat auch nicht diesen Anspruch. Die EEA möchte ihr CSI trotzdem um mehr und bessere Indikatoren u. a. für Öko-Effizienz, für die politische Wirksamkeit und den Beitrag zur "total welfare" erweitern. Konkret abgedeckt werden sollen Themen wie Wert und Bestandverlust an natürlichem Kapital, globale Ressourcenflüsse, Kosten-Wirksamkeit und ökologische Aspekte von Lebensqualität.
Praxis
Das EEA-CSI unterstützt seit 2004 die EU-Umweltpolitik durch verlässliche, aktuelle, zielgerichtete und relevante Umweltindikatoren. Das Indikatorenset ist mittlerweile international anerkannt und relativ weit verbreitet.
Plus/Minus
+
- umfangreiches Indikatorenset
- direkte Anbindung an politischen Prozess
-
- reine Umweltkennzahl
- sehr komplizierte Aufbereitung einer komplexen Thematik
Quellen
[1] Factsheet "EEA Core Set of Indicators" >> ONLINE-DOKUMENT
[2] Indicators - European Environment Agency >> OFFIZIELLE WEBSITE
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- Kategorie: BIP. Kritik & Alternativen
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Der World Happiness Index (WHI) wird seit dem Jahr 2000 von der französischen Initiative Globeco für 60 Länder berechnet, um daraus einen globalen Gesamt-Index des "globalen Lebensglücks" zu berechnen. Er kann methodologisch auch als Meta-Index betrachtet werden, der insgesamt 40 Indizes anerkannter internationaler Institutionen zu vier Dimensionen des Lebensglücks zusammenfasst.
Selbstverständnis und Motivation
Globeco, die französische Trägerorganisation des WHI, sieht ihren Index in der Tradition des HDI - Human Development Index. Der World Happiness Index würde aber weiter gehen in dem Ansinnen, die Fehler und Grenzen des BIP zu überwinden. Das BIP ist zwar ebenfalls Teil der Berechnung des WHI -- allerdings bloß eine von insgesamt 40 Messgrößen, die gleichwertig zum "Lebensglück" der Bevölkerung eines Landes beitragen sollen. Der WHI ermittelt aber primär kein Länderranking, sondern er repräsentiert den allgemeinen Zustand der Welt hinsichtlich des Lebensglücks ihrer BewohnerInnen.
Methodik
"Lebensglück" oder "happiness" wird im WHI auf vier Dimensionen heruntergebrochen, die durch jeweils 10 Indizes aus verlässlichen Quellen (UNDP, WB, WHO, SIPRI, Amnesty, HCR ...) umfassend erfasst werden sollen:
- Frieden und Sicherheit, gemessen durch 1 – Anzahl nuklearer Gefechtsköpfe, 2 – Todesopfer durch kriegerische bewaffnete Konflikte, 3 – Militärausgaben, 4 – Todesopfer durch Gewaltverbrechen, 5 – Flüchtlinge, 6 – Opfer natürlicher oder technologischer Katastrophen, 7 – Korruption, 8 – ökonomische und finanzielle Sicherheit, 9 & 10 – Wahrscheinlichkeit des Ablebens vor Erreichen des 60. Lebensjahres
- Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, gemessen durch 1 – Menschen, die weltweit in Freiheit leben, 2 – Niveau demokratischer Mitbestimmung, 3 - Pressefreiheit, 4 – Kinderrechte & -sterblichkeit, 5 – Todesstrafe, 6 – Frauenrechte & GDI, 7 – Anteil weibl. ParlamentarierInnen, 8 – Frauenanteil in der Schulbildung, 9 – 10 - aktueller Buben- & Mädchenanteil in Schulen
- Lebensqualität, gemessen an 1 – BIP pro Kopf, 2 – Verteilungsdisparität des BIP, 3 – Lebenserwartung bei Geburt, 4 - Armuts-Index, 5 – GINI-Koeffizient, 6 - Selbstmorden, 7 – CO2-Emissionen, 8 – Waldfläche pro Kopf, 9 – Wasser und Hygiene, 10 – Luftqualität
- Forschung, Bildung, Information, Kommunikation, Kultur, gemessen durch 1 – Forschungs- und Entwicklungsausgaben, 2 & 3 – höchste erlangte Schulbildung nach Geschlecht, 4 – Alphabetisierungsrate, 5 – Ungleichheiten im Zugang zu Bildung, 6 – Auflage von Tageszeitungen pro Kopf, 7 – Bildung in unterentwickelten Ländern, 8 – Internet, 9 – Anzahl aufgeführter Filme, 10 – internationale Tourismusreisen
Die erhobenen Daten stammen aus relativ verlässlichen, offiziellen Quellen, werden regelmäßig aktualisiert und sind für eine relative große Zahl von Ländern verfügbar. Der WHI errechnet sich daraus als Durchschnittswert dieser 40 Indizes. Primär wird daraus ein Gesamt-Score des globalen Lebensglücks ermittelt, dessen Entwicklung bis zum Jahr 2000 (Basiswert 100) zurückverfolgt werden kann. Auf Basis von 20 Indizes lässt sich auch ein Vergleich von bislang 60 Ländern oder 90% der Weltbevölkerung hinsichtlich der vier Dimensionen anstellen -- das Länderranking liefert ähnliche Ergebnisse wie die verbreiteten Indizes BLI - Better Life Index, LPI - Legatum Prosperity Index, SPI - Social Progress Index.
Aussagekraft
Die Teilindizes und -indikatoren des WHI sind für sich genommen relevant, die Datenlage ist vergleichsweise gut. Die Aussagekraft des WHI leidet eher unter der schwachen, schwer nachvollziehbaren Operationalisierung des Konzepts des "Lebensglücks". Zum einen erscheint die jeweilige Zuordnung der Indikatoren zum einen oder anderen Bereich in einigen Fällen recht fragwürdig. Dieser Schwachpunkt relativiert sich zwar dadurch, dass der WHI letztlich den Durchschnitt aus allen Teilindizes und -indikatoren bildet. Allerdings stellt sich dann die Frage, was ein Durchschnittswert aus letztlich sehr heterogenen Merkmalen, die in ganz unterschiedlichen Einheiten vorliegen und deren Auswahl letztlich recht willkürlich erscheint, eigentlich aussagen soll. Sicherlich sagt der WHI damit etwas aus über den Zustand der Welt in einer Reihe hoch relevanter Bereiche gesellschaftlicher Entwicklung und individuellen Lebensglücks -- aber was das genau sein soll, darüber lässt sich nur spekulieren. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass der WHI zwar seinem Anspruch nach "happiness" messen möchte, dass er aber keinen einzigen subjektiven Indikator enthält, der dieses Lebensglück unmittelbar abfragen könnte.
Praxis
Die Ergebnisse des WHI werden jedes Jahr in aktualisierter Form für das abgelaufene Jahr von der französischen Organisation Globeco veröffentlicht -- unmittelbar praktische Relevanz hat der WHI aber keine.
Plus/Minus
+
- gute Sammlung relevanter, relativ verlässlicher offizieller Indikatoren & Indizes
-
- schwaches, schwer nachvollziehbares Konzept
- fragwürdige Zuordnung der einzelnen Indikatoren & Indizes zu den vier Dimensionen
- Berechnung eines Durcschnittswerts aus 40 heterogenen Messgrößen hat wenig Aussagekraft
- obwohl "Lebensglück" gemessen werden soll, enthält WHI keine subjektiven Indikatoren
Quellen
[1] Factsheet "World Happiness ndex" >> ONLINE-DOKUMENT
[2] “L’indice du Bonheur mondial et le classement par pays” >> OFFIZIELLE WEBSITE
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